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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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nichts.«
    Einige Sekunden vergingen in Schweigen. »Was ist, wenn die Mädchen nicht wiederkommen?«, sagte Noah. »Was ist, wenn die oben anfangen, uns auszuradieren?«
    »Das mein ich ja«, sagte Conrad.
    »Was?« Noah klopfte auf den Boden. »Was meinst du, Darnoc?«
    »Ich heiß Conrad.«
    »Er heißt Conrad«, sagte Noah zu Leon mit einem eigentümlichen Singsang in der Stimme. »Conrad sitzt im Schnee und weint. Warum weinst du, Conrad, fragt der Wind. Mir ist so kalt, ich bin so einsam, ach ich armes, armes Kind. Geh nach Haus und wärme dich! Conrad sagt: Ich schäme mich. So sitzt er da und weint und greint, und wenn im Frühjahr dann die Sonne scheint, ist er erfroren, hart wie Stein, ach das arme, arme Conradlein.« Er sah Leon an und schüttelte den Kopf.
    Über Leons Wangen liefen Tränen. Er wischte sie hastig ab, aber es kamen immer neue. »Entschuldigung«, flüsterte er.
    »War ein Scherz.« Noah meinte Conrad. »Ist mir grad so eingefallen.«
    »Ist dir nicht grad so eingefallen«, sagte Conrad.
    »Ja, stimmt. Ist mir mal da unten im Keller eingefallen. Da hat der Typ natürlich anders geheißen«
    »In was für einem Keller?« Leon schniefte und blinzelte unaufhörlich. Er war froh, dass er etwas gesagt hatte.
    »Vergangenheit«, sagte Noah. »Also, was glaubst du, Conrad? Dass wir Zombies sind? Dass wir nur so tun, als wären wir noch da? Ja?«
    Conrad nahm den Blick nicht vom Tisch. »Wir sind nicht mehr da, kapierst du das nicht?«
    Weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte, erwiderte Leon: »Doch.«
    »Nein«, schrie Conrad.
    Sogar Noah zuckte ein wenig zusammen.
    Conrad hatte sich schon wieder beruhigt. »Nein, Leon. Wir sind nicht mehr da. Siehst du den Fernseher? Sie lassen uns fernsehen. Verstehst du nicht, was das bedeutet? Sie lassen uns unsere eignen Gesichter im Fernsehen sehen. Sie lachen uns aus, sie verspotten uns, so wie sie uns oben …«
    »Sei still«, sagte Leon.
    »Ja, halt die Klappe.« Aus Noahs schwarzen Haaren, so kam es den beiden anderen zumindest vor, krochen Schatten auf sein Gesicht. Auf einmal wirkte er abwesend und nicht mehr aggressiv, eher unsicher. Als müsste er sich daran festhalten, umklammerte er mit beiden Händen den Stock und saß eine Weile noch gekrümmter da als sonst. Seine angespannten Gesichtszüge verrieten ein gewaltiges inneres Ringen. Dann beugte er sich, was ihm offensichtlich sehr schwerfiel, zu Conrad hinüber. »Wir reden nur von uns, von niemand sonst. Außer von den Mädchen. Und solang wir reden, sind wir da. Ich, du, Noel …«
    »Er heißt Leon.«
    »Noel ist doch gut. Noel und Hoan. Und der kahlköpfige Darnoc aus dem Reich der fernsehenden Toten. Wir sind Verbündete, und ich will wissen, wieso die Stotterin stottert. Das interessiert mich. Und wieso mag mich die andere nicht? Was ist die denn? Was macht die sonst so?«
    »Sie ist Ministrantin«, sagte Leon. Noahs Fragen hielt er für überflüssig, aber das Reden gefiel ihm, es lenkte ihn ab. Er klemmte die Hände zwischen die Knie und wiegte, wie vor Vergnügen, den Kopf hin und her.
    »Was ist die?«
    »Ministrantin. Sie ministriert in einer Kirche.«
    »In welcher Kirche?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Vielleicht will sie mal Ministerin werden.«
    »Du bist bescheuert«, sagte Conrad.
    Noah ging nicht drauf ein. »Und die steht dann in der Kirche und stottert.«
    »Die Sophia stottert nicht«, sagte Leon. »Das ist die Maren.«
    »Verwechselt. Und woher weißt du das alles so genau?«
    »Sie hat mir aus der Bibel vorgelesen.«
    »Aus welcher Bibel?« Noah sah sich demonstrativ um.
    »Sie hat nicht wirklich vorgelesen, sie weiß das auswendig.«
    »Die kann die Bibel auswendig?«
    »Ja«, sagte Leon.
    »Willst du mich verarschen?«
    »Du kannst sie ja fragen.«
    »Wozu denn?« Noah wandte sich an Conrad. »Siehst du? Checkst du das? Wir reden, wir sind da. Also mach mit, Mumie.«
    Leon hatte keine Ahnung, was mit Noah in der vergangenen Stunde geschehen war. Warum er in einem Moment das Gesicht eines erschrockenen Kindes im finsteren Wald hatte und sich im nächsten wie ein netter Spielkamerad verhielt. Und wo seine ruppige, unberechenbare Art geblieben war.
    »Okay.« Conrad lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und wippte mit dem Stuhl. »Ich spiel mit. Weil heut Sonntag ist.«
    »Woher willst du wissen, dass heut Sonntag ist?«, fragte Noah.
    »Hab ich gelesen.«
    »In den Sternen?«
    »Im Fernsehen.«
    Leon lächelte und wartete ungeduldig, dass die beiden so

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