Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Ex-Mutter«, sagte Noah.
    Leon entwischte ein Kichern. Noah beachtete ihn nicht.
    »Was ist eine Ex-Mutter?« Conrad sah weiter zum Fernseher.
    »Wir sind nicht mehr zusammen. Schon lang nicht mehr.«
    »Sie bleibt trotzdem deine Mutter«, sagte Conrad.
    Leon nickte, ohne es zu bemerken.
    »Träum weiter, Mädchen.«
    Mit einer langsamen, müden Bewegung drehte Conrad sich zu Noah um. »Ich bin kein Mädchen. Du kapierst einfach nichts. Aber das ist gut für dich. Nicht zu viel nachdenken kann helfen. Das ist wie beim Fußball. Hat mir mein Vater immer erklärt, und er hat recht. Also mach dir keine Sorgen, Noah, bleib so. Wenn du denkst, du bist am Leben, lass dich dabei nicht stören. Wir hindern dich nicht daran, stimmt’s?«
    Die Frage kam zu überraschend für Leon. Er starrte Conrad an und hatte den Sinn der Worte schon wieder vergessen. In seiner Not sagte er: »Dein Vater ist Fußballspieler?«
    »Er war einer. Jetzt vermietet er Autos. Hab ich doch schon erzählt.«
    »Echt?« Leon dachte angestrengt nach.
    »Putzelig«, sagte Noah mit einem letzten Blick zum Fernseher. In der Sendung ging es inzwischen um magersüchtige Models.
    Conrad hatte keine Lust mehr, mit Noah zu reden.
    »Welche Position hat dein Vater gespielt?«, fragte Leon.
    »Wo bleiben eigentlich die Mädchen?«, fragte Noah.

14
    An diesem Sonntag waren die drei Jungen zum ersten Mal allein unter sich. Jeder von ihnen wollte etwas Bestimmtes sagen, endlich etwas Wahres von sich preisgeben, etwas, das zählte und Bestand hatte. Sie höhlten ihr Schweigen aus, um es zu finden, und mussten am Ende einsehen, dass ihre Worte an das schwarze Weltall in ihnen nicht heranreichten. Dass sie sich in ihrem Mut getäuscht hatten und die Zeit, in der sie hier waren – Noah ungefähr eine Woche, Conrad zweieinhalb Monate, Leon mehr als ein Jahr –, sie in fremde Kinder verwandelt hatte.
    Sie erkannten sich selbst nicht mehr, trotz ihrer Erinnerungen und der Wut, die sie sprachlos machte und fast mehr anekelte als das, was oben geschah.
    Bis zu den Augen angefüllt mit schmieriger Verachtung für die eigene Feigheit saßen sie stumm am Tisch – Conrad und Leon an den Schmalseiten, Noah mit dem Rücken zur Wand an der hinteren Längsseite –, so hungrig und durstig, dass ihre Mägen knurrten. Dabei wären sie lieber gestorben als auch nur einen Schluck Wasser zu trinken, bevor sie wussten, was mit den Mädchen geschehen war. Jeder auf seine Weise, und ohne es genau erklären zu können, vermisste die beiden abgrundtief.
    Noah klopfte mit dem Stock auf den Boden. Conrad und Leon hoben die Köpfe. »Hat die schon immer gestottert?«
    »Sie heißt Maren«, sagte Conrad.
    »Meinst du, ich merk mir gleich eure Namen?«
    »Sei einfach still.«
    Nach einem kurzen Schweigen sagte Noah: »Hab den Namen schon wieder vergessen. Deinen weiß ich auch nicht mehr.«
    »Ist doch egal«, sagte Conrad.
    Noah sah Leon an. »Wie heißt er?«
    Für Leon war klar, dass er Conrads Namen nicht verraten durfte, aber er wollte auch kein Schweigen mehr hören. Er fing an zu grübeln und keuchte vor Anstrengung.
    »Stimmt was mit deinem Hirn nicht?«, fragte Noah.
    »Was?« Leon wollte seine Ruhe beim Denken, aber er wollte auch, dass Noah nicht merkte, dass sein Kopf vor Grübeln schon glühte. Dann endlich hatte er eine Idee. »Darnoc«, sagte er. Immer wieder hatte er die Buchstaben durcheinandergebracht. Jetzt atmete er erleichtert auf.
    Noah bog den Stock in Leons Richtung. »Danke. Und du bist Noel, richtig?«
    Hektisch buchstabierte Leon seinen Namen im Kopf rückwärts. Dann nickte er.
    »Hoan«, sagte Noah und fügte hinzu: »Klingt wie der Vietnamese vorn am Platz.«
    »An welchem Platz?«, fragte Leon.
    »Bei mir zu Hause.«
    Leon hatte nicht vergessen, dass es verboten war, nach dem Herkunftsort zu fragen. War auch egal, dachte er, sie würden sowieso nie wieder dahin zurückkehren. Conrad hatte schon recht.
    »Wie hast du das vorhin gemeint?« Noah sah Conrad an. »Ob ich glauben würd, ich wär noch am Leben.«
    Conrad hatte den Kopf in die Arme gestützt und die Hände auf seine Stoppelhaare gelegt. Er versuchte, an seinen Vater zu denken, aber es gelang ihm nicht.
    »Du sollst mit mir reden«, sagte Noah.
    Leon holte Luft. »Er meint, er weiß nicht, ob das ein Leben ist, hier.«
    »Das meine ich nicht«, sagte Conrad, ohne jemanden anzusehen. »Ich will nicht drüber reden.«
    »Über was willst du dann reden?« Noah wartete, bis Conrad ihn ansah.
    »Über

Weitere Kostenlose Bücher