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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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alles gut ausgegangen.«
    »Du hast Fußball gespielt, trotz deinem Bein?« Die Frage hatte Conrad schon die ganze Zeit stellen wollen. Was Noah erzählte und wie er es tat, mit diesem undefinierbaren Unterton in der Stimme, fand Conrad irgendwie selbstgefällig.
    »Vorher.« Noah klopfte mit dem Daumen auf den Stock. »Als ich ein kleines Kind war, verstehst du das? Die eine Sache war abgeschlossen, die neue Sache fing an.«
    »Die Sache mit deinem Bein«, sagte Conrad.
    »Schlauberger.«
    »Hattest du einen Unfall?«
    »Wie meinst du das?«
    »Was?«
    »Was meinst du mit Unfall?«
    »Ich meine … Bist du gestürzt?«
    »Stimmt.«
    »Du bist also verunglückt.«
    Noah wischte sich die Haare aus den Augen und legte den Kopf in den Nacken. Er schien angestrengt über etwas nachzudenken, reglos. Dann sah er Conrad mit festem Blick an, wandte sich zu Leon um, nickte ihm zu und legte das Kinn auf den Griff des Stocks. »Verunglückt ist nicht falsch. Aber ob’s ein Unglück war? Es ist passiert. Es hätt immer passieren können. So hab ich meinen Stock gekriegt, auch eine schöne Sache. Echtes Buchenholz, Superqualität. Astrein lackiert. Sonst noch Fragen?«
    »Tut dir das Bein immer noch weh?«, fragte Leon.
    »Kommt vor. Hört wieder auf. Tut dir nichts weh?«
    »Doch«, sagte Leon sofort, was ihm nicht recht war.
    »Das bist doch du!« Conrad zeigte zum Fernseher, wo in einer Magazinsendung das Foto eines Jungen eingeblendet wurde, der ein weißes Hemd und eine dunkle Hose trug. Leon rutschte auf den Knien näher zum Tisch, um besser sehen zu können. »Und wer ist der Mann auf dem zweiten Foto?«
    Der Mann war Mitte vierzig, hatte einen dunklen Bart und eine Brille und trug ebenfalls ein weißes Hemd und darüber ein braunes Sakko.
    Noah zögerte einen Moment. »Das war mein Vater.«
    »Wieso zeigen die den? Ist der auch verschwunden?«
    »Er ist tot.«
    »Wieso?«, fragte Leon.
    »Er ist erschlagen worden«, sagte Noah.
    »Von wem?« Leon öffnete den Mund, weil vielleicht sein polterndes Herz ins Freie wollte.
    »Weiß kein Mensch. Von einem Unbekannten.«
    »Und die denken jetzt, du bist auch ermordet worden«, sagte Conrad.
    »Da denken die falsch.«
    »Meinst du?« Conrad wandte sich vom Fernseher ab. Er fragte sich, ob Noah tatsächlich so naiv war, wie er sich gab.
    »Ich bin hier, oder nicht?«, sagte Noah.
    »Aber als was?«
    »Was?«
    »Was bist du hier, Noah? Wie fühlst du dich? Sag ehrlich.«
    »Was?«
    In der Hoffnung, die beiden würden ihn vor lauter Reden nicht beachten, krallte Leon seine Finger in die Tischkante und stemmte sich in die Höhe. Bei jeder Bewegung schossen aus der Gegend seines Bauches Pfeile in den Rest seines Körpers. Aber er wollte nicht länger am Boden kauern, weil er da allein mit den Bildern war, die unaufhörlich auf der Leinwand in seinem Kopf abliefen, seit die Frau ihn wieder nach unten geschickt hatte. Wenn er Conrad und Noah zuhörte, verblassten die Bilder eine Weile, und dann rätselte er plötzlich wieder, worüber die beiden eigentlich redeten.
    Natürlich erwischte ihn ein Blick von Noah, doch Leon ließ sich nicht einschüchtern. Er sank auf den Stuhl an der Schmalseite, auf dem Sophia oft saß, legte die Arme auf den Tisch und schnaufte, so leise er konnte, mit offenem Mund.
    In diesem Moment empfand Leon eine große Zugehörigkeit. Vor allem, weil Noah ihn nur anschaute und keinen Kommentar abgab, was ihm wie die Geste eines verständnisvollen Freundes erschien. Und so hörte er den beiden zu wie seinen Kumpels nach einem Spiel auf dem Kalvarienberg, wenn sie mit Limo und Spezi auf ihre Mannschaft anstießen und die gegnerische Taktik noch einmal in allen Einzelheiten zerlegten.
    Allerdings hatte Leon immer noch keine Ahnung, worauf Conrad mit seinen Anspielungen hinauswollte.
    »Du bist also am Leben«, sagte Conrad.
    Noah drehte den Stock in seinen Händen und warf einen Blick zum Fernseher. Mit ernster Miene erzählte die Moderatorin etwas. Die Fotos im Hintergrund verschwanden und ein Mann in Polizeiuniform redete in ein Mikrofon.
    »So wie du«, sagte Noah.
    »Ich bin nicht am Leben.«
    »Du gehst doch aufs Klo, oder nicht?«
    »Was?«
    »Du gehst doch aufs Klo, oder nicht?«
    »Ja.«
    »Also bist du am Leben. Tote scheißen nicht.«
    »Woher willst du das wissen?«, sagte Conrad.
    Noah nickte zum Fernseher und Conrad sah hin. Jetzt wurde eine sehr blasse, magere Frau interviewt. Sie saß auf einer weißen Couch, die Hände im Schoß gefaltet.
    »Meine

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