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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ihrer Hand.
    »A-aber … n-nur im K-Kopf, i-ich w-wollt d-dich d-doch n-nicht st-stören.«
    »Du störst mich doch nicht.«
    »D-doch sch-schon. U-und d-das M-Märchen ist w-wahr, g-ganz w-wahr, w-weißt du? A-alles ist W-Wirklichk-keit.«
    »Ja«, sagte Sophia und drückte Marens Hand fester. »So wie alle Geschichten, die wir uns erzählt haben.«
    »J-ja. W-wir s-sind st-stark.«
    »Wir sind stark«, wiederholte Sophia, obwohl es absurd klang und sie nicht begriff, was Maren damit meinte.
    »F-fantastisch«, sagte Maren und legte ihren Kopf auf Sophias Schulter.
    Stille breitete sich aus. Bevor sie übermächtig wurde, sagte Leon: »Eigentlich schade, dass wir nicht durch Wände fliegen oder sie niedertrampeln können.« Er sah Conrad an. »Welcher Tag ist heut?«
    Conrad starrte weiter auf den Tisch. »Keine Ahnung.«
    »Montag?« Leon blickte in die Runde, als erwarte er ernsthaft eine Antwort. Niemand sagte etwas. »Weil, wenn Montag wär, wären wir alle Montag, dann könnten wir mit unseren Hufen zuschlagen.«
    Conrad stützte beide Arme auf den Tisch und hielt sich die Ohren zu.
    »Ich sterb gleich vor Hunger«, sagte Leon.
    »Ich auch«, sagte Sophia. Schon seit Stunden versuchte sie, an etwas anderes als an den Geschmack von frischem Apfelkuchen zu denken. Von ihrer Nase aus hatte sich der Geruch nach gebackenen Äpfeln bis in ihren Gaumen ausgebreitet, so dass sie schon glaubte, sie müsse nur noch hineinbeißen. Sie leckte sich die Lippen, und als sie unverhofft schmatzte, sahen die anderen sie irritiert an. Niemand sagte etwas, jeder kaute an seinem eigenen Hunger.
    Nach einer Weile sagte Sophia: »Die lassen uns verhungern.«
    Leon rieb seine Fäuste aneinander. »Stimmt nicht. Wir kriegen jeden Tag Brot und Saft.«
    »Wirst du davon satt?«
    »Nein.«
    »Sie sollen die Heizung ausmachen und uns erfrieren lassen, das wär besser«, sagte Conrad.
    Verblüfft sahen alle vier zum kleinen, zerkratzten, elektrischen Heizkörper in der Ecke, er funktionierte noch. Die Wärme, die er abstrahlte, war minimal und wurde von der Kälte der Steine in den Wänden aufgefressen. Trotzdem war er da, und wenn Maren ihre Hände davorhielt, hörte sie sekundenlang auf zu sterben. Seit Tagen hatte sie das nicht mehr getan und als sie jetzt hinschaute, erinnerte sie sich nicht mehr an das letzte Mal.
    Wahrscheinlich, dachte Leon, war das nur ein Trick und die Heizung schon lange abgeschaltet. Sie bildeten sich alle nur etwas ein, weil sie eigentlich Schneemänner waren, für die schon ein Stück Kohle was Warmes war.
    »Wir sind alle blöde«, sagte Leon.
    »S-sei s-still, b-bitte.«
    »Wieso sind wir blöde?« Sophia saß Leon gegenüber, und ihr Blick schüchterte ihn schon wieder ein.
    »Weil … weil wir bloß so tun.«
    »Was tun wir bloß so?« Woher sie die Kraft für ihre Stimme nahm, begriff Sophia selbst nicht.
    »So … als … als käm da Wärme woher. Ist doch alles kaputt hier. Merkst du das nicht?«
    »Merk ich nicht.«
    »Tust du schon.«
    »Nein.«
    »N-nicht s-streiten, b-bitte, b-bitte.«
    »Wir streiten nicht, Maren, ich lass mir von Leon nur nichts einreden. Vielleicht legst du dich besser hin und lässt uns ins Ruhe.«
    »B-bleib da, L-Leon.«
    Leon senkte den Kopf und klemmte die Fäuste zwischen die Knie. Er musste an die Schneemänner denken, die er früher gebaut hatte.
    Früher, dachte er und überlegte, wann das gewesen sein mochte. Niemand hatte ihm helfen dürfen, er rollte die Schneekugel allein über den Kalvarienberg, den ovalen, mächtigen Bauch, den knubbeligen Kopf, in den er zwei Kohlestücke und eine kleine Gurke statt einer Karotte steckte. In den mit zwei Fingern geformten Mund bohrte er einen länglichen runden Holzstecken als Zigarre. Auf den Kopf kamen zwei weiße Schwanenfedern, die er am Fluss gesammelt hatte. Die Federn wurden jedes Jahr geklaut, aber mit der Zeit hatte er genügend auf Vorrat. Es gab ein Foto von ihm neben dem Schneemann, das bewahrte seine Mutter auf. Wenn er einmal tot wäre, dachte Leon, hätte sie eine Erinnerung an ihn, die niemals schmolz.
    Er hätte nicht an seine Mutter denken dürfen. Jetzt quollen ihm wieder Tränen aus den Augen und er traute sich nicht, sie abzuwischen. Conrads Stimme, die plötzlich ertönte, erleichterte ihn.
    »Ich will was wissen«, sagte Conrad und umklammerte mit beiden Händen die Tischkante. »Ich will wissen, was ihr da oben erlebt habt. Und du fängst an, Sophia.«
    Seltsamerweise erschrak sie nicht über die

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