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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Gewandtheit emporkletterte.
    Als sie schon weit gekommen war, fiel Maren auf, dass sie beim Sprechen öfter an ihre Freundin Annabel dachte. Eigentlich war sie es, der sie vor allem mitteilen wollte, was die Männer mit ihr und aus ihr gemacht hatten. Eine geschundene Frau war sie geworden, obwohl sie erst dreizehn war und noch nie mit einem Jungen geschlafen hatte.
    So innig dachte sie an Annabel, dass sie sie vor sich liegen sah, in ein weißes Laken gehüllt, friedvoll und jung, und sie flehte sie an, keinem Menschen zu vertrauen.
    Zwischen den Bruchstücken ihrer Sätze holte Maren tief Luft, drückte Sophias Hand noch fester und keuchte verzweifelt wie jemand, der im weiten Watt der Flut zu entkommen suchte. Eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden, zweieinhalb Stunden. Und sie schaffte es. Sie hob den Kopf, ihr Gesicht glühte, ihre Lippen waren ausgetrocknet, ihre Lider flackerten wie hauchdünne Dochte, deren Kerzen niedergebrannt waren.
    Maren wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, es schien ihr, als hätte sie ein Jahr lang gesprochen und wäre inzwischen alt geworden, bereit zu gehen und noch einmal Annabel zu winken, die wieder ein echtes Leben führte.
    »D-danke, C-Conrad.« Sie legte ihren Kopf auf Sophias Schulter und schloss die Augen.
    Obwohl Leon neben ihm mit dem Oberkörper vor und zurück schaukelte und einen so angespannten Eindruck machte, als wollte er jeden Moment anfangen zu sprechen, kam Conrad ihm zuvor. »Sie haben mich geschoren wie ein Tier«, sagte er und erzählte dreißig Minuten lang von all dem, was bisher niemand hören durfte. Leon hörte auf zu schaukeln und tastete nach Sophias Hand. Seine Finger waren kalt und knochig.
    Conrad fragte, warum sie über ihre Erlebnisse und den an ihnen verübten Verbrechen nicht sprechen durften. Sie würden doch eh am nächsten oder übernächsten Tag wieder misshandelt. Er fragte, wieso sie überhaupt noch am Leben waren und nicht schon längst ermordet worden waren wie Noah.
    In allen Einzelheiten beschrieb Conrad, wie sie ihm die Haare vom Körper schnitten und was er tun musste, bevor er einen Schluck Wasser bekam und sich ein paar Minuten ausruhen durfte. Dann fragte er die Wände, wieso er sich all die Wochen über nicht gewehrt hatte. Er wollte wissen, seit wann er so feige war und seine Träume verloren hatte.
    Conrads Stimme wurde immer lauter. Er hörte es und wollte es verhindern. Doch die Worte trampelten wie wilde Pferde durch seinen Kopf und aus seinem Mund, er hatte keine Kraft, sie zu bändigen, und eigentlich wollte er es auch nicht. Sein Vater, dachte er dauernd und schrie fast die Worte, die von etwas ganz anderem handelten, würde ihn verachten und jeden Respekt vor ihm verlieren. Seine Ma würde ihm nicht helfen, weil sie für Feiglinge nichts übrighatte und seinen Vater verlassen hätte, wenn er einer gewesen wäre.
    Am Höhepunkt seines inneren Wütens hasste Conrad sich so sehr, dass er den Tisch anbrüllte.
    Wieso die Männer ihn nicht sogar noch härter rangenommen hätten? Wieso sie ihm nicht die Fingernägel ausgerissen und ihn bis zum Kinn in der Erde vergraben hätten, um ihm zu zeigen, was für eine nichtsnutzige Kreatur er war?
    Die kalte Hand vor seinem Mund bemerkte Conrad erst, als die Worte an seinem Gaumen zurückprallten und nur noch ein dumpfes Gemurmel übrig ließen. Er wollte weiterreden, aber etwas versperrte seiner Stimme den Weg.
    Erschöpft drehte Conrad den Kopf. Er sah Leons erhobenen Arm und neigte den Kopf. Leon hielt Conrad den Mund zu und nahm seine Hand nicht weg.
    Niemand sagte etwas.
    Leons trauriger Blick brachte Conrad in den Keller zurück, an den Tisch, in die Nähe seiner letzten Freunde.
    Mit einer behutsamen Bewegung senkte Leon den Arm. »Du bist nicht feige«, sagte er leise. Vorhin hatte er Sophias Hand losgelassen, jetzt suchte er sie mit Blicken und zögerte, sie erneut zu ergreifen.
    Vieles von dem, was Conrad erzählt hatte, entsprach Leons eigenen Erlebnissen, und er würde sie nicht wiederholen. Also begann er mit dem Zimmer der Frau, wo er die meiste Zeit gewesen war. Er erzählte nicht alles, denn das war unmöglich. Niemals würde er jemandem sagen, wie grausam es ihm dort ergangen war und was die Frau von ihm verlangt hatte. Das alles bliebe auf ewig sein sinnloses Geheimnis. Außerdem, dachte er schließlich erleichtert, würde er nie in eine Situation kommen, in der jemand ihn nach der Wahrheit fragen würde. Er würde doch vorher auf jeden Fall sterben und

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