Die Untoten von Veridon: Roman (German Edition)
ihren antiken Flinten eigentlich zu erschrecken? Vor mir hatte sich ein Auflauf gebildet. Die Leute umzingelten eine zugenagelte Bretterbude, hämmerten mit ihren Luxuswaffen auf die Fensterläden und die Tür ein. Die Männer rings um mich wogten vorwärts. Ich wurde gegen die Mauer gedrängt, rutschte aus und landete auf dem schlammigen Kopfsteinpflaster. Die Gruppe fegte an mir vorbei.
Die Welt um mich erzitterte. Unter den Wolken heulte die Aufmarschsirene von irgendeinem Ordnungshüterrevier, und die Meute stimmte in den schrillen Laut mit ein. Holz splitterte, und weitere Schreie gesellten sich zu dem entsetzlichen Lärm. Grauenhafte Schreie. Ich stemmte mich hoch und sah mich nach etwas um, womit ich kämpfen konnte. Nach einem Knüppel, einer Stange … irgendetwas. Irgendwas, das ich dem Wahnsinn dieser Meute entgegensetzen konnte.
Wilson sauste über mir vorbei, sprang von einem Gebäude zum nächsten und warf mir im Vorbeieilen einen nervösen Blick zu. Ich schaute zurück zu der Menge, die den Schuppen mit bloßen Händen in Stücke riss, dann folgte ich Wilson. Mein Herz hämmerte in der Brust. Ich versuchte, die Schreie des Grauens hinter mir zu überhören. Ich war noch nicht weit gekommen, als sie endeten.
Wilson wartete in einer dunklen Gasse auf mich, wo er über einer kleinen Barrikade aus Mülltonnen kauerte. Sein Blick war finster.
»Ich dachte, sie hätten dich erwischt«, sagte ich.
»Sprich leise«, stieß er hervor. Reihen winziger Zähne schimmerten feucht in der Dunkelheit. »Das sind alte Männer. Die jagen sonst Füchse und Wild. Sehe ich für dich wie ein Fuchs aus? Sehe ich wie Wild aus?«
»Nein, ich dachte nur …«
»Still.« Er löste sich von der Mauer, ging übertrieben vorsichtig um die Tonnen herum und bedeutete mir, ihm zu folgen.
Da war der Fehn, eingerollt zu einem Ball, und gab leise, grausige Geräusche von sich. Ich schüttelte ihn an der Schulter. Seine Haut war beinah trocken. Es dauerte einige Sekunden, bis er meine Gegenwart bemerkte, und einige weitere, bis er aufhörte vor Angst zu zittern. Als mich seine Augen schließlich ansahen, wirkte sein Blick Tausende Meilen weit weg.
»Geht es dir gut?«, fragte ich oder versuchte es zumindest. Er hörte mich nicht. Und als er schließlich reagierte, klang seine Stimme wie ein trockenes Klicken tief in der Kehle. Ihm war das Wasser ausgegangen. Die Fehn trinken Wasser so, wie ich atme. Ihre Lungen sind voll davon, und dementsprechend nass und gurgelnd hören sich ihre Stimmen an. Er hustete mich an. Es klang wie Schlamm, der sich in einem Bachbett setzt. Ich zog ihn auf die Füße. Er konnte kaum stehen.
»Er ist schon eine Weile aus dem Fluss. Womöglich war er während des Angriffs gar nicht dort«, meinte Wilson.
»Schau ihn dir an. Sieh dir seine Augen an. Er war dort. Wir müssen ihm Wasser und eine Zuflucht besorgen.« Ich schlang mir seinen Arm um die Schulter. »Gehen wir.«
»Lassen wir das lieber«, widersprach eine Stimme vom Ende der Gasse. Der adrette Mann.
»Lassen Sie ihn zufrieden«, gab Wilson zurück. Seine Stimme klang seidig und gefährlich. Ich konnte durchaus nachvollziehen, weshalb sich viele Menschen vor den Anansi fürchteten, sogar vor den zahmen. Besonders vor den zahmen. »Er ist keiner von denen.«
»Ach ja? Faszinierend.« Der Mann kam in die Gasse geschlendert. Einige seiner Gefährten folgten ihm höhnisch grinsend. »Sagen Sie, Mr. Nicht-Fehn, was führt Sie heute Vormittag in unsere herrliche Stadt? War es eine lange Reise?« Er stupste den Fehn mit der Spitze eines abgebrochenen Speers an. Das stachelige Ende piekte in seine nackte Brust. »Du siehst schrecklich durstig aus. Findet ihr nicht auch, Jungs?«
»Natürlich ist er ein Fehn, Sie Idiot.« Ich baute mich so beeindruckend wie möglich vor ihm auf und versuchte, etwas vom alten Zauber der Burn-Familie heraufzubeschwören. »Trotzdem ist er keiner von denen . Sehen Sie ihn an. Er könnte niemandem etwas zuleide tun. Wenn Sie uns jetzt einfach durchlassen, verschwinden wir.«
»Oh, selbstverständlich. Sofort.« Er drehte sich zu seinen unruhigen Freunden um. »Jungs. Lasst diese Leute durch, ja?«
Sie hoben die Gewehre an und lächelten. Wilson zog Stahl, ich zog Eisen. Der Fehn löste sich von meiner Schulter und ergriff die Flucht.
Die Meute zögerte. Schließlich war es keine richtige Meute. Nur einige adrette Männer, die durch jede Menge Angst und ein wenig Ermutigung seitens ihres selbsternannten Anführers in
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