Die Unvollendete: Roman (German Edition)
Moira trug offenbar bodenlange Flanellnachthemden und schaltete das Licht aus. Manchmal fragte sich Ursula, ob Crighton die unbeugsamen Eigenschaften seiner Frau nicht übertrieb. Ein-, zweimal hatte sie überlegt, ob sie nicht nach Wargrave fahren sollte, um einen Blick auf die hintergangene Frau zu werfen und herauszufinden, ob sie wirklich so hausbacken war. Das Problem dabei, Moira in Person zu sehen (sie stellte sich eher Rubens als Renoir vor), war natürlich, dass es Ursula schwerer fallen würde, eine reale Person zu hintergehen als ein Rätsel.
(»Aber sie ist eine reale Person«, sagte Pamela. »Das ist ein fadenscheiniges Argument.«
»Ja, das weiß ich.« Dieses Gespräch fand später anlässlich von Hughs sechzigstem Geburtstag statt, einer ziemlich unerquicklichen Veranstaltung im Frühling.)
Die Suite hatte einen herrlichen Blick auf den Fluss, von der Waterloo Bridge bis zum Parlament und Big Ben, alles lag jetzt im Schatten der aufziehenden Dämmerung. (»Die blaue Stunde.«) Sie konnte gerade noch Cleopatra’s Needle erkennen, ein dunkler Finger, der zum Himmel zeigte. Von dem gewöhnlichen Funkeln und Strahlen der Londoner Lichter war nichts zu sehen. Die Verdunkelung hatte bereits begonnen.
»Die Notunterkunft war nicht frei? Wir treffen uns in der Öffentlichkeit?«, fragte Ursula, während Crighton die Flasche Champagner öffnete, die in einem beschlagenen silbernen Kübel auf sie gewartet hatte. »Haben wir einen Grund zum Feiern?«
»Unseren Abschied«, sagte Crighton, stellte sich neben sie ans Fenster und reichte ihr ein Glas.
»Unseren Abschied?«, sagte Ursula irritiert. »Du bringst mich in ein gutes Hotel und gibst mir Champagner, nur um unser Verhältnis zu beenden?«
»Abschied vom Frieden«, sagte Crighton. »Wir verabschieden uns von der Welt, wie wir sie kennen.« Er hob das Glas auf London in seiner dämmrigen Schönheit. »Auf den Anfang vom Ende«, sagte er grimmig. »Ich habe Moira verlassen«, fügte er hinzu, als wäre es ihm gerade eingefallen, ein unwichtiger Nebengedanke. Ursula war überrascht.
»Und die Mädchen?« (Nur um es zu überprüfen, dachte sie.)
»Alle. Das Leben ist zu kostbar, um unglücklich zu sein.« Ursula fragte sich, wie viele Menschen in London an diesem Abend das Gleiche sagten. Vielleicht in einer weniger wohltuenden Umgebung. Und es gäbe natürlich andere, die die gleichen Worte sagten, um festzuhalten, was sie besaßen, und nicht, um es aufgrund einer Laune aufzugeben.
Plötzlich und unerwartet spürte Ursula Panik in sich und sagte: »Ich will dich nicht heiraten.«
Ihr war nicht klar gewesen, wie wichtig ihr das war, bis sie es ausgesprochen hatte.
»Ich will dich auch nicht heiraten«, sagte Crighton, und perverserweise war sie enttäuscht.
»Ich habe eine Wohnung in Egerton Gardens gemietet«, sagte er. »Ich dachte, vielleicht willst du bei mir wohnen.«
»Mit dir zusammenleben? In Sünde in Knightsbridge?«
»Wenn du willst.«
»Meine Güte, du traust dich was«, sagte sie. »Und was ist mit deiner Karriere?«
Er gab einen verächtlichen Laut von sich. Sie, und nicht der Krieg, sollte also sein neues Jütland werden.
»Wirst du ja sagen? Ursula?«
Ursula starrte hinaus auf die Themse. Der Fluss war fast nicht mehr zu sehen.
»Wir sollten anstoßen«, sagte sie. »Wie heißt es noch bei der Marine – ›Geliebte und Ehefrauen – auf dass sie sich nie begegnen‹?« Sie stieß mit Crighton an und sagte: »Ich bin am Verhungern, wir gehen doch essen, oder?«
April 1940
E ine Autohupe durchbrach am Sonntagmorgen die Stille in Knightsbridge. Ursula vermisste das Läuten der Kirchenglocken. Es gab so viele einfache Dinge, die vor dem Krieg selbstverständlich gewesen waren. Sie wünschte, sie könnte die Zeit zurückdrehen, um sie besser zu schätzen.
»Warum hupt er«, sagte Crighton, »wenn wir eine funktionierende Klingel haben?« Er schaute aus dem Fenster. »Er ist da«, sagte er, »falls er ein junger Mann in einem dreiteiligen Anzug ist und sich aufplustert wie ein Gockel.«
»Das klingt nach ihm.« Obwohl Ursula Maurice nicht für »jung« hielt und nie gehalten hatte, konnte sie verstehen, dass er Crighton jung erschien.
Hugh wurde sechzig, und Maurice hatte sich widerwillig bereit erklärt, sie zur Feier nach Fox Corner mitzunehmen. Es war etwas Neues und nicht notwendigerweise etwas Gutes, eine Weile mit Maurice in einem Wagen eingeschlossen zu sein. Sie waren nur selten zu zweit allein.
»Er hat Benzin?«,
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