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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Vorbereitungen, die Bänder, Stoffe und die Blumen, hatten mich wie neu belebt und mich einen Augenblick lang meiner Langeweile und Trübsal entrissen. Aber an diesem Abend, an dem ich das blütenweiße Organzakleid der Debütantinnen trug, erfaßte mich plötzlich eine heftige Beklemmung, und ich zitterte am ganzen Körper. Man hatte mich schon einem jungen Kavallerieoffizier versprochen, den ich nicht einmal kannte. Ich hatte ihn flüchtig vom Balkon aus gesehen, als er mit seinem Trupp vorbeizog. Er war groß, hatte einen Schnurrbart und pechschwarze Augen. Mich haben dunkle Männer immer abgestoßen. Alle sagten, er sei ein gutaussehender Mann, aber mir machte er Angst wie alle dunklen Männer. Er war groß und kräftig, und seine Wangen waren voller Narben von verschiedenen Duellen, wie ich feststellen konnte, als ich ihn aus der Nähe sah. Er hatte schon drei Männer getötet, dort in seiner Heimat. Er war ein deutscher Adliger. Möge Gott ihm vergeben! Mit dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahren lasteten bereits drei Menschen auf seinemGewissen. Denk nur, drei Menschen, die er aus eitlen Motiven weltlicher Ehre getötet hat. Schon von weitem hatte mir dieser Mann Angst eingejagt, aber dann beim Kontertanz, als ich seine Narben aus der Nähe sah, die mich an seine Verbrechen erinnerten, übertrug sich das Grauen, das sich hinter diesen glänzenden, von Medaillen und Rangabzeichen funkelnden Uniformen verbarg, auf den Glanz der Seide, der Lüster und der Diademe und enthüllte mir die Orgie der Sünde und des Verbrechens hinter diesem ganzen Luxus.«
    Die Seide, die Kerzenleuchter, der Glanz der Diademe, die zerschnittenen Wangen … Ein Stich im Magen, als ob ich Hunger hätte, ließ mich wie Madre Leonora erzittern, und ich flüchtete in ihre Arme, um mein Gesicht an ihrer Brust zu verbergen, ein wenig, weil sie wunderschön wurde, wenn sie sich so erregte, und ein wenig, um das Verlangen zu verbergen, das ich nach der Umarmung dieses Offiziers verspürte. Ein Verlangen, das man meinem Gesicht sicher auch im Dunkeln hätte ansehen können … Tuzzu, wo war Tuzzu? Er hatte keine zerschnittenen Wangen, aber aus den Wunden seiner Augen quoll blau das Meer, und seine Hände waren stark, wenn er streichelte. Tuzzus Hände streicheln mich im Dunkeln; immer wenn das Schilfrohr dunkel und still wird, streichelt er mich so. Nein, das sind nicht Tuzzus Hände. Das sind die weichen und zitternden Hände von Madre Leonora, die von der Taille zu meinen Schultern aufsteigen und den Busen nur mit einem flüchtigen Flügelschlag streifen.
    »Was ist? Bist du erschrocken? Bist du erschrocken bei dem Gedanken an die Verdammnis, die mich erwartet hätte, wenn ich in der Welt geblieben wäre? Aber die Mutter Gottes hat mich rechtzeitig erleuchtet, wie sie esauch mit dir tun wird. Beruhige dich. Die Gefahr ist gebannt. Jetzt bist du groß und stark und darfst dich nicht mehr so ängstigen wie als kleines Mädchen. Siehst du, wie schön sich deine Brust entwickelt hat? Erinnerst du dich dann, welche Angst wir hatten, daß sie flach und trocken bleiben würde wie die von Schwester Teresa?«
    Ja, der Busen war mir glücklicherweise gewachsen, aber ihre Hände ließen mich nicht mehr erschauern. Sie waren kraftlos und wagten nie etwas. So oft hatte ich darauf gehofft, aber nie hatte es mehr als eine schüchterne Liebkosung gegeben. Am Anfang hatte ich geglaubt, daß Madre Leonora sich nicht streichelte, weil sie so rein war und heilig, wie alle im Kloster immer behaupteten, aber inzwischen wußte ich, daß auch sie sich nachts so streichelte, wie ich es tat. Das hatte ich in jener Nacht entdeckt, als ihr ein Gewitter als Vorwand gedient hatte, um mich mit in ihr Bett zu nehmen. Und dann, als sie meinte, daß ich schlief, hatte sie begonnen, sich zu streicheln und zu stöhnen. Von wegen eine Heilige, sie war ein Feigling! Ein Feigling, und deshalb redete sie immer nur von Hölle und Schuld …
    Was hatte ich da gesagt? Mit einem langen Schrei, gefolgt vom aufgeregten Schlagen weißer Flügel, stößt sie mich von sich. Was hatte ich gesagt? Ich Wahnsinnige! Es muß etwas Furchtbares gewesen sein, denn jetzt rennt Madre Leonora wie eine vom Licht geblendete Fledermaus den schmalen Turm hinauf, etwas ganz Furchtbares, wenn sie sich so auf die Knie wirft, verzweifelt das Kreuz schlägt und schreit:
    »Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.«
    Wie kann ich das nur wiedergutmachen?

10
    Dabei half mir ein starkes Fieber, das mich

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