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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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kalt?«
    »Ich habe dir das oft genug gesagt, Mattia. Wenn du so bist, vergeht mir die Lust.«
    »Ich verschwinde lieber, sonst bring ich dich um! Von wegen Lust! Ich bring dich um, ich schwör’s, dich und all deine Freunde. Ich verschwinde. Du sagst nichts, verräterische Teufelin? Früher bist du wenigstens wütend geworden …«
    Die Lust verging mir beim Klang dieser schneidenden Stimme. Und mit jedem Monat hoffte ich mehr darauf, ihn nicht auftauchen zu sehen, hatte aber nicht die Kraft,diesen jungen, festen Körper mit seiner glatten Haut nicht zu umarmen.
    »… Immer im Wasser plantschen, was, Modesta? Mir gefällt dein dunkler Körper, das hätte ich nie gedacht. Vorher mochte ich helle Haut, aber jetzt kommen mir diese Körper im Vergleich zu deinem fade vor. Geh mit mir fort von hier, in den Norden, wo die Sonne sanft und das Wasser mild ist. Mir gefällt das Meer um Capri und Ischia. Bist du je dort gewesen? Laß uns eine vorgezogene Hochzeitsreise dorthin machen und dann heiraten … Wo warst du letzte Nacht? Ich habe zwei Stunden auf dich gewartet.«
    »Ich habe dir einen Zettel hingelegt.«
    »Den habe ich nicht gesehen.«
    »Weil du sicher nicht genau hingeschaut hast, er lag auf dem Schreibtisch.«
    »Ich hasse deinen Schreibtisch mit den ganzen Büchern. Wenn du weg bist, kommt mir hier alles feindselig vor. Wo warst du? Bei Prando? Hatte er seine Launen wie das letzte Mal?«
    »Ich war in Catania bei Beatrice, die entbunden hat. Wir waren besorgt, Beatrice hat schmale Hüften, und es war eine schwierige Geburt. Ich konnte sie nicht allein lassen.«
    »Ach so! Aber es ist alles gut gegangen, wenn du so lächelst.«
    »Ja, sie muß jedoch im Bett bleiben und Ruhe halten.«
    »Und was ist es, ein Junge oder ein Mädchen?«
    »Ein zartes, wunderschönes Mädchen, merkwürdig, es sieht aus wie eine Frau in Miniatur.«
    »Schade! Ich kann mir vorstellen, daß dein Schwager …«
    »Warum schade? Ich habe doch gesagt, daß sie zwar zart, aber gesund ist.«
    »Das meine ich nicht. Man sagt, wenn als erstes ein Mädchen geboren wird, kommen zwei oder drei weitere hinterher. Und um einen Sohn zu bekommen, muß man sich abmühen. Aber was hast du, Modesta? Warum zitterst du?«
    Ich zitterte wegen dieses Satzes, der gerade über seine verächtlichen Lippen gekommen war. Ich versuche diese unsinnige Verachtung zu begreifen, die ich vorher im Kampf ums Überleben unterschätzt oder, genauer gesagt, als etwas Natürliches akzeptiert hatte wie den Ätna, das Meer und die Jahreszeiten. Aber jetzt kann ich den Impuls blinden Hasses gegen diesen Mann nicht zurückhalten, der mich bestürzt ansieht und wiederholt:
    »Was hast du denn, Modesta? Was habe ich gesagt? Was habe ich getan?«
    »Geh bitte, mir ist nicht gut. Komm morgen tagsüber wieder, dann kann ich es dir vielleicht erklären.«
    »Ist Beatrice in Gefahr?«
    »Das ist es nicht, Mattia, ich bin verwirrt. Ich bitte dich, geh, ich muß allein sein.«
    »Na gut. Das kommt daher, daß du zuviel studierst, Modesta, du bist müde … Schon gut, ich geh ja schon, wenn du mich bloß nicht so anschaust. Inzwischen kenne ich meine Fürstin. Modesta, morgen fahre ich für eine Woche nach Modica, ich habe dort etwas zu erledigen, aber sobald ich wieder da bin, sehen wir uns … Freust du dich nicht, daß ich dir von meinen Vorhaben erzähle? Das sollte dir gefallen …«
    Ich will ihn nicht hassen. Wie kann ich ihn, Carmine, Tuzzu und selbst Mimmo hassen, wo ich erst gestern mit eigenen Augen Zeuge geworden bin, wie die Geburt eines Mädchens sogar von der Mutter aufgenommen wird? Mattia küßt mich sanft und entfernt sich lautlosin seinem kräftigen, festen Körper eines selbstsicheren Mannes. Ich sehe ihn nicht mehr, meine Aufmerksamkeit ist inzwischen auf das verzweifelte Gesicht der weinenden Beatrice gerichtet.
    »Aber Beatrice, was macht das für einen Unterschied? Ich verstehe dich nicht, sie ist schön, es ist ein Leben, und … und außerdem ist sie wie wir, Beatrice! Bitte weine doch nicht so!«
    »Du hast gut reden, du hast sofort einen Jungen bekommen!«
    »Das ist doch dasselbe, Beatrice! Ich hatte damals …«
    »Lügnerin! Das sagst du bloß, um mich zu trösten. Lügnerin!«
    Ich will sie nicht hassen, aber dieses »Lügnerin«, das mich seit Tagen verfolgt, zwingt mich zurück in die Vergangenheit, wo ich unter Schmerzen all die Sätze von Madre Leonora, Gaia und meiner Mutter ausgrabe, die ich lieber zusammen mit ihren toten Körpern begraben

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