Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
und einen Mann, Mattia, vergiß das nicht.«
»Einen Mann! Dieses Tier! Ein Wort reicht, und ich befreie dich von diesem Kreuz.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich bringe ihn für dich um, und dann heiraten wir!«
»Wage es ja nicht!«
»Durch diese Heirat bekämst du deine Ländereien zurück,und mit dir an meiner Seite könnte ich allen trotzen. Heirate mich, ich habe dir in diesen Monaten genug Beweise meiner Liebe gegeben.«
Das stimmte, aber meine Zukunft lag nicht in seiner Jugend, und Ländereien wollte ich nicht. Man heiratet nur aus Notwendigkeit … Seine Beweise waren lediglich zarte Seidenfäden, mit denen er mich später um so fester binden konnte. Das spürte ich im festen Griff seiner Hände, die mir ungewollt beinahe die Handgelenke brachen. Nicht das Gleichgewicht verlieren, Modesta, hör nicht auf diese heißen Hände, schau ihm in die Augen, wo sich in seinem Blick aus Ginsterhonig bereits ein düsteres Gefängnis abzeichnet. Und um diesem meine Sinne nährenden Honig zu entkommen, suchte ich Zuflucht bei Carlo:
»… kaum zu glauben, Carlo, als ich dich kennengelernt habe, dachte ich wirklich, alle jungen Männer seien so wie du. Wie naiv! Ich habe meine Zukunft zwischen lauter Carlos gesehen, mit denen ich reden, wachsen und ins Bett gehen würde.«
»Einige gibt es, Jose zum Beispiel. Er und seine Partnerin sind anders. In Mailand waren sie unser Vorbild, sozusagen unser Stolz, wir haben sie bewundert. Gerade heute hat er mir einen kurzen Brief geschrieben, in dem er mich halb im Spaß und halb im Ernst einen Verräter nennt wegen meines Puccini-Traums von der Ehe: Un bel dì vedremo … Er sagt auch, daß ihm von den beiden typisch italienischen Übeln D’Annunzio immer noch lieber ist.«
»Jose, Jose! Das ist ja wie ein Kehrreim! Und die anderen? Warum erzählst du mir nicht von den anderen Genossen? Sind die etwa alle so wie dieser Pasquale, der dir überallhin folgt, und du willst es mir bloß nicht sagen?«
»Pasquale ist ein guter Genosse, Modesta. Laß uns realistisch bleiben: Wir sind auf Sizilien!«
»Hast du ihn zu Hause mit seiner Frau gesehen? Hast du gesehen, wie er mit ihr umgeht? Aber was sage ich da? Er geht gar nicht mit ihr um. In den wenigen Augenblicken, in denen die arme Elisa auftaucht, scheint sie durchsichtig zu sein!«
»Ja, das stimmt, darauf hast du mich aufmerksam gemacht …«
»Warum verfinstert sich deine Miene, Carlo?«
»Weil ich zugeben muß, daß ich das nicht bemerkt habe, bevor ich dich kennenlernte … Wenn ich mich zurückerinnere, muß ich dir recht geben und zugeben, daß es auch in Mailand so war, nur ist es mir damals nicht aufgefallen. Es gab viel wichtigere Dinge zu bedenken.«
»Du glaubst also, daß mein Problem damit zu persönlich ist? Sag mir die Wahrheit.«
»Nein. Nur daß es auch jetzt wichtigere Dinge gibt, mit denen man sich beschäftigen muß.«
»Da hast du recht.«
»Was du willst, kommt später. Wenn anstelle von De Amicis’ Herz Bebels Bücher stehen, wenn im Kalender, wie Maria sagt, statt der Heiligennamen die Namen von Madame Curie und Pasteur zu lesen sein werden …«
»Und wenn das nicht passiert, Carlo?«
»Dann werden wir weiter unseren Garten bestellen, wie Voltaire sagt, und darauf warten, daß der Samen aufgeht. Schau nur, was für ein Sonnenuntergang, Modesta! Laß uns spazierengehen, bevor die göttliche Beatrice, gefolgt von ihrer Magd – weißt du, daß Quecksilber richtig hübsch geworden ist? –, aus den Küchen kommt und uns mit wohlschmeckenden Speisen überschüttet. Sie lerntgerade kochen. Sie sagt, daß sie selbst für das Kind kochen will. Auch meine Mutter, erinnere ich mich …«
»Es ist Wind aufgekommen, Carlo, laß uns rennen! Ich mag den Wind, dort oben bei den Nonnen hat er nie geweht, alles war regungslos wie in zähflüssiges graues Wasser getaucht. Vielleicht waren wir bloß leblose Fische in einem Aquarium.«
»Da kommt die Dichterin zum Vorschein, die unter der rauhen Hülle der Göre aus dem Hinterland schlummert. Und auch dein Gesicht verändert sich, wie machst du das nur?«
»Carmine hat immer gesagt, daß ich ihn an einen Cantastorie erinnere, und Tuzzu auch, glaube ich … Die Erinnerungen verblassen, Carlo, das ist schrecklich!«
»Ist denn ein Cantastorie kein Dichter?«
»Sobald ich die Universität beendet habe, schreibe ich nur noch Gedichte und laufe draußen herum, um allen Wind zu trinken, der bewegt, belebt und anregt – wie schön doch die Worte sind,
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