Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
ich davon. Der Herr Carlo ist abgemagert und traurig zurückgekehrt.«
»Aber Carlo steht auf der anderen Seite, Stella, und ist verbittert über den Erfolg von Mussolinis Ideen.«
»Was will der bloß, daß er unsere Männer auseinanderbringt? Melo ist mein Mann, und ich sollte das nicht sagen, aber er hat einen aufbrausenden Charakter, und ich trau ihm nicht. Wenn der Herr Carlo wirklich auf der anderen Seite steht, dann muß er recht haben, denn er ist ein guter Mann. Könnte er doch mit Melo reden, wenn der wiederkommt!«
»Machst du dir darum Gedanken?«
»Ja, wenn der Herr Carlo ihn bloß zur Vernunft brächte!«
»Sobald Melo wieder da ist, lassen wir ihn mit Carlo reden, Stella.«
»Ich ertrage dieses männliche Herumgerenne nicht mehr! Wieso mußte er nach Rom rennen und dann in das noch weiter entfernte Amerika?«
»Wegen des Erbes, Stella.«
»Und wieso war das nötig? Wir sind nicht arm. Fern vom eigenen Fleisch und Blut ist man wirklich verloren.«
»Er kommt doch wieder, Stella.«
»Euer Durchlaucht trösten mich wie die Engelstränen, die Gott uns endlich vom Himmel geschickt hat. Es ist paradiesisch frisch, und Jacopo schwitzt nicht mehr, der arme Picciriddu!«
Stella mit ihrem von der Sorge ein wenig umwölkten Gesicht, Stella mit ihren langen Augen: zwei Risse aus poliertem Stahl, zwei Sterne, die auch im Getöse des Gewitters lachen. Der Regen schlägt mal wütend, mal leicht gegen die Mauern des Hauses. Die Flure und die Treppen gleiten langsam unter meinen Schritten dahin. Ein paar Augenblicke, um über den Tag nachzudenken, über Prandos Entwicklung in den wenigen Wochen – Jacopos Ankunft hat ihn mit einemmal groß werden lassen –, und schon öffnet Mattia vorsichtig mit einem Lächeln die Tür. Er lächelt jetzt immer.
»Ich habe dich gar nicht gehört, Mattia, wie bist du gekommen?«
»Auf Orlando. Ich hatte das Motorrad satt! Mein Vater hatte recht: dieser ganze Lärm stört das Ohr und macht es unmöglich, die Schritte deines Feindes zu hören. So wirst du zur leichten Beute für deine Hasser. Bereits inden letzten drei Tagen hat mich Orlando vor einer Falle bewahrt!«
»Wer war es?«
»Dieselben, die es vorher auf Carmine abgesehen hatten. Jetzt bin ich der Herr und muß vorsichtig sein. Das Leben ändert sich, wenn der Vater stirbt. Mattia ist innerhalb weniger Stunden alt geworden, allein muß er seine Wurzeln wieder in die Erde pflanzen, und du mußt mir dabei helfen, Modesta, du mußt es mich lehren!«
»Was willst du wissen, ob du deinem Vater das Wasser reichen kannst?«
»Du hast mich verstanden.«
»Carmine hat dir nicht getraut.«
»Und du?«
»Ich spüre Carmines Kraft in dir, aber seine Zweifel zu vergessen will mir nicht gelingen.«
»Wenn man bedenkt, daß ich selbst diese Zweifel gesät habe!«
»Aber warum?«
»Was weiß ich! Als ob ich mir Geltung verschaffen wollte. Damit er wenigstens an mir zweifelte und um diese gebieterische Sicherheit zu erschüttern, die er allen gegenüber hatte. Und jetzt, wo er tot ist, wer konnte das ahnen, fühle ich, wie diese Zweifel auf mich zurückfallen. Nur du kannst mir jetzt helfen, und vielleicht nicht einmal du. Ich habe sonst niemanden.«
»Und Vincenzo?«
»Vincenzo! Wenn Carmine bloß noch lebte, um seinen Augapfel jetzt zu sehen! Das Lamm von einst hat sich in einen Rasenden verwandelt.«
»Wie konnte das passieren?«
»Offensichtlich ist er Carmine nur aus Furcht gefolgt. Seit er tot ist, flucht Vincenzo den lieben langen Tagseinem Andenken. Am Tag der Beerdigung hat er angefangen zu trinken. Und jetzt ist er von zu Hause weggegangen. Ich friere, Modesta.«
»Umarme mich, damit ich dich wärmen kann. Aber was hast du, Mattia?«
»Schau mich nicht an. Ich kann diese Tränen nicht zurückhalten, ich bin kein Mann, Modesta, schau mich nicht an.«
Zum ersten Mal habe ich Mitleid mit seiner Jugend und mit meiner, aber nur einen Moment lang, denn sofort erkenne ich die Falle, die diese Zärtlichkeit verbirgt. »Die Jugend ist listiger als das Alter und weiß jedes Mittel zu nutzen.« Nur einen Moment lang, und schon nutzt er sie aus.
»Sag mir, daß du mich liebst, Modesta.«
»Ruhig, Mattia.«
»Sag’s mir!«
»Du bittest mich um ein Wort, mit dem man vorsichtig umgehen muß.«
»Aber ich liebe dich.«
»Du brauchst mich.«
»Ist das keine Liebe?«
»Das wird die Zeit erweisen, Mattia.«
»Du machst mich verrückt, Modesta! Ich bin deiner nicht würdig, sag’s schon!«
»Ich habe zwei Söhne
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