Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
hätte. Aber man begräbt niemanden, bevor man seine Worte nicht ganz genau verstanden hat. Und was haben sie gesagt? Daß die Frau ebensosehr ein Feind der Frau ist wie der Mann.
»Können Euer Durchlaucht nicht schlafen, oder warum kommt Ihr uns besuchen? Schau mal, Prando, die Mama. Erst hast du nach ihr gefragt, und jetzt, wo sie hier ist, versteckst du dich. Was ist, wieso antwortest du nicht? Es ist kein Wort aus ihm herauszubekommen, wenn er einmal beschlossen hat zu schweigen. Er hat so schön geschlafen, aber dann ist er aufgewacht. Möchtet Ihr einen Kaffee?«
»Du sollst mich Modesta nennen, Stella.«
»Das habe ich ja versucht, aber es will mir einfach nichtüber die Lippen … Nun schaut ihn Euch an. So ist es immer mit Mutter und Sohn. Verborgene Wurzeln verbinden sie miteinander, so soll es ja auch mit Zwillingen sein, sagt man. Wer hat dich geweckt, Prando?«
»Weiß nicht.«
»Und Euch? Mich hat eine Vorahnung geweckt oder dieser verrückte Mond, der Wahnsinnige, Witwen und ruhelose Seelen ruft. Wenn er so scheint, gefällt er mir nicht. Dieses Jahr bringt große Veränderungen! Erst Trockenheit, dann Wasser in Strömen, das die Felder wegreißt. Und jetzt dieses eisige Licht, das die Nacht zum Tag macht! Was hast du, Prando, wieso ziehst du so an mir? Willst du auf meinen Arm?«
»Nein, auf Modestas Arm!«
»Und das sagst du mir? Geh zu ihr, worauf wartest du?«
»Jetzt nicht mehr. Jetzt geh ich ins Bett zurück und komm später wieder.«
»Wie geht es Beatrice? Hat sie sich erholt?«
»Sehr gut, Stella.«
»Und die Kleine?«
»Auch der geht es gut, hoffen wir wenigstens.«
»Wie haben sie sie genannt? Ihr habt es mir schon gesagt, aber ich habe es wieder vergessen. Ich will Prando von seiner Cousine erzählen … Ida, sagt Ihr? Was für ein schöner Name! Also hieß die Mutter des Herrn Carlo so?«
»Ja, Stella, aber er nennt sie schon jetzt Bambolina, so wie du meinen Sohn Prando nennst.«
»Das tu ich nur, weil mir Eriprando zu lang und zu hart vorkommt. Vielleicht sollte ich das nicht?«
»Nein, das war gut so. Merkst du nicht, wie er sofort davon Besitz ergriffen hat?«
»Prando heiß ich. Und Eriprando. Ich hab zwei Namen!«
»Und jetzt hast du auch eine kleine Cousine, Prando.«
»Ein Mädchen, so wie du?«
»Ja.«
»Und wie die Mama?«
»Ja.«
»Warum nimmst du Jacopo immer auf den Arm? Leg ihn weg!«
»Weil er klein ist. Er kann noch nicht allein stehen wie du.«
»Also bin ich stärker?«
»Natürlich, und tüchtiger.«
»Was ist tüchtig?«
»Groß wie ein Mann, stark und gut.«
»Und Jacopo ist nicht tüchtig?«
»Nein, er ist noch klein und schwach.«
»Darf ich ihn anfassen?«
Von Stella gewonnen, streichelte Eriprando Jacopo.
»Wie machst du das, Stella, woher kennst du das Geheimnis, wie man mit diesen Bengeln redet?«
»Ich habe sechs Brüder gehabt und lasse mich von ihrem windigen Geprotze und den Wörtern aus Rauch, die einem wie Feuer vorkommen, nicht irreführen.«
»Warum sagst du ›gehabt‹, Stella? Soweit ich weiß, leben sie noch.«
»Ja, sie leben, aber Feindschaft trennt sie. Solange meine Mutter noch bei uns war, hat sie sie besänftigt, und wir haben miteinander geredet. Dann geschah das, was sie drei Tage vor ihrem Tod vorrausgesagt hat. Das war keine Prophezeiung, sondern Lebensweisheit. Sie sagte mir: ›Liebe sie, Stella, auch wenn Stolz und Geldgier sie trennen. Zwinge dich dazu. Wir Frauen dürfen uns vonihrem Geschrei und ihren Streitereien nicht beirren lassen. Mit der Zeit, wenn sich der Streit gelegt hat, werden sie zurückkehren. Und dann ist es an uns, sie aufzunehmen und die Wunden verheilen zu lassen.‹ Sie war eine weise Frau! Ich habe einiges von ihr gelernt, aber so gut wie sie bin ich nicht. Nur bei den Jungen schaffe ich es, auf ihre Stimme zu hören, die mir den Weg weist, aber bei Pietro, Rinaldo, Melo und meinem Vater packt mich Verdruß. Ich sollte das nicht sagen, aber jetzt, wo Melo diese Briefe schreibt, die Ihr mir vorlest, ist er mir fremd, und es tut mir leid, nicht mit der Geduld meiner Mutter auf ihn warten zu können.«
»Das waren andere Zeiten, Stella! Alles ändert sich!«
»Euer Durchlaucht finden immer die richtigen Worte für mich. Alles verändert sich jetzt mit jedem neuen Tag. Als ich klein war, war es vom Dorf bis nach Catania eine weite Reise, jetzt ist man in wenigen Stunden dort.«
»Aber diese Veränderungen bringen auch Vorteile, Stella.«
»Vorteile? Für die da, für deren
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