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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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damit meinte, daß Hauptstädte zu einem anderen Leben verurteiltseien, welches sie, wie soll ich sagen, der Natur, den Bergen und Flüssen des Landes entfremdet. Vielleicht hat Atatürk deshalb nach der Revolution von 1923 Ankara zur Hauptstadt gemacht … vielleicht. Ich habe niemals mit Nazim darüber gesprochen, und nun ist es zu spät. Er durchwandert die schrecklichen türkischen Gefängnisse, immer hinein und hinaus, wie im übrigen alle Genossen. Wir können kein Schiff nach Istanbul besteigen, Modesta! Zumindest ich nicht, die ich nicht nur aus Italien, sondern auch aus meiner anderen Heimat verbannt bin.«
    Ihre Stimme verlischt mit dem letzten Licht in einer Traurigkeit, die mich weinen läßt wie Bambú, wenn sie abends Stellas bittersüßen Geschichten lauscht. Doch wie Bambú entschließe ich mich, zu schlafen, um im Traum das leidvolle Schicksal meines Helden Giufà-Joyce zu wenden … Wie Bambú werde ich es sein, die durch den Wald läuft und den Fuchspelz zurückerobert, den die bösen Menschen Giufà geraubt haben, als er sich gerade für ein Nickerchen niedergelegt hatte. Ohne den Fuchspelz, der ihn im Wald tarnt, kann Giufà sich nicht seine Nahrung erjagen, die aus Fliegen, Mücken und kleinen Würmern besteht …
    »Bambú hat zwei Leben, Mama, eins am Tag und eins in der Nacht. Deswegen tue ich auch immer, was sie sagt … Wenn du wüßtest, was sie in der Nacht alles leistet! Sie löst jedes Problem: Es ist nur gerecht, daß sie die Bestimmerin ist. Ich schlafe nachts. Wenn sie nicht wäre, würde ich immer nur die Figuren anschauen oder lesen. Mir fällt nie etwas ein, kein einziges Spiel. Während ihr tausend und eins einfallen!«
    Jacopo hat recht. Bambolina ist wie ihre Mutter. Wer weiß, was Cavallina von dieser Mela hält, die all dieStücke spielt, welche ich auf dem Carmelo immer für sie gespielt habe. Das Mädchen ist gut! Man brauchte nur Stella zu sagen, wie gut sie spielt, und schon wurde ihr Anschlag sicherer und kräftiger, von heute auf morgen. Was soll ich tun, Beatrice, soll ich sie in ein Internat schicken? Wir müssen sparen, wie Anwalt Santangelo ganz richtig feststellt.
    »Und du, Modesta, unterwirfst dich der Vernunft eines alten Bourgeois? Das wundert mich aber.«
    Mit gespielter Empörung umarmt mich Cavallina von hinten und flüstert mir ins Ohr:
    »Der Dachboden und die Flure hängen voll mit Onkel Jacopos Bildern. Weißt du, daß sie ein Vermögen wert sind, Mody? Deshalb habe ich sie damals aufgehoben.«
    »Ich weiß, ich weiß, Cavallina, aber um sie ins Ausland zu schaffen, bräuchten wir einen gewieften Verkäufer von sicherem und zugleich diskretem Auftreten. Einen Fachmann, kurz gesagt. Wer könnte das sein, Anwalt? Finde mir einen solchen Mann.«
    »Aber das ist Schmuggel, Modesta! Ich weiß nicht, warum du dich mit dem Gesetz anlegen willst, wo doch noch all die Ländereien da sind, die Carlo Ida hinterlassen hat.«
    »Nein, Bambolinas Geld wird nicht angerührt! Ohne Geld ist eine Frau verloren.«
    »Aber warum, zum Teufel! Auch sie trägt doch ihr Scherflein dazu bei, dein Geld zu verschwenden, oder? Und worum sorgst du dich überhaupt? Ida ist ein Bild von einem Mädchen, sie wird eine gute Partie machen.«
    »O nein, mein guter alter Liberaler, sie wird sich nicht auf diese Art verheiraten.«
    »Dann wird sie eben arbeiten gehen. Du hast doch immer gesagt, eine Frau müsse arbeiten, oder irre ich mich?«
    »Früher, mein Lieber, früher, als man noch glaubte, die Revolution stünde vor der Tür, doch wie die Dinge nun liegen, nein! Bambolina wird nur arbeiten, wenn sie es selbst wünscht.«
    »Oho, na gut! Das ist neu. Ist das etwa auch die Idee eines deiner Anarchisten? Willst du, daß sie eine träge Müßiggängerin wird?«
    »Denke, was du willst, dann wird Bambolina eben faul und träge!«
    »Wie auch immer, ich kann dir jedenfalls nicht helfen, du mußt dir diesen Mann alleine suchen!«
    Ein Fachmann! Es muß ein Fachmann sein. Oder soll ich selbst losziehen? Ein Abenteuer mehr oder weniger. Doch zuerst muß ich mich über die Techniken des Schmuggelns kundig machen … die Technik … die Kunst … Die Kunst des Klavierspiels, die Kunst des Schmuggelns, die Kunst, schnell einzuschlafen … Wenn ich nicht wieder meine Kunst des Zählens aufnehme – nicht der Schäfchen, versteht sich, sondern der schönen Dinge des Tages: Wolken im Sonnenuntergang, wilde Brecher, die an den Klippen zerschellen … Stellas oder Bambolinas Blicke … wie viele

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