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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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bizarre Mienen Bambolina machen kann! Und Stella, die sich bei Hitze die Haare hochbindet und damit unbewußt ihre antiken Schwestern auf den syrakusischen Münzen nachahmt. Auch die Münzen … sie allein sind schon ein Vermögen wert.

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    Wie Stella war ich kaum verwundert, als ich die Augen aufschlug und sie mir sagte, daß ich fast zwei Tage geschlafen hatte.
    »Ein Segen ist es, Mody! Warum quälst du dich deswegen? Auch Carlo sagte immer, der Schlaf tue dir gut. Aber welch ein Schock beim ersten Mal! Ich sah dich schon verhungern! Und er lächelte nur … Weißt du noch, was er immer sagte, wenn etwas Unbekanntes mich erschreckte? ›Tja, die Unwissenheit, Stella, die Unwissenheit!‹ Wie recht er doch hatte! Oh! Beinah hätte ich Frau Joyce vergessen … Sie läßt fragen, ob sie kurz heraufkommen darf.«
    »Frau Joyce?«
    »Ja, ich habe auch nachgefragt. Sie war verheiratet und ist nun Witwe: Das hat sie mir selbst gesagt. Und sie hat auch gesagt, daß sie ihren Ehering nicht immer trägt, weil sein Anblick ihr in gewissen Stunden den Schmerz in Erinnerung ruft, der … Die Arme, wie sie redet! Gestelzt wie ein Buch, aber sie ist netter, als wir dachten, Mody! In den letzten Tagen ist sie immer in die Küche gekommen für ihren Kaffee, wie du es sonst tust, und weißt du, was sie gesagt hat? ›Ist es dir recht, wenn ich für ein Weilchen Modestas Platz einnehme, Stella?‹ Wenn sie wenigstens den Hut abnehmen würde! Warum sie ihn nur immer aufhat? Ach, weißt du, was Bambú meint? Daß sie vielleicht kahl ist! … Ojemine! Bambú wartet auf mich! Ich muß los … Soll ich sie nun hochschicken oder nicht?«
    Und ich hatte mir wochenlang den Kopf zerbrochen, wie ich sie zu mir herauflocken könnte. Sollte ich diese einmalige Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen? Ich klammerte mich an die Bettdecke und schrie Stella geradezu hinterher, die schon durch die Tür war:
    »Nein, Stella, schick sie hoch, sonst ist sie womöglich beleidigt.«
    Hatte Stella mich noch gehört? Blieb mir genug Zeit, ins Badezimmer zu gehen und mir wenigstens die Zähnezu putzen und die Haare zu kämmen? Plötzlich wurde ich mir meines Aufzuges bewußt. Stella hatte mich mühsam auf das Bett gehoben und mir den Rock und die engeren Sachen ausgezogen, so wie Carlo es empfohlen hatte. Aber nun lag ich seit zwei Tagen in demselben Pullover unter den Decken … Mit den Händen fuhr ich mir durch das verschwitzte und klebrige Haar. Ich war ja so schon schrecklich und plump genug, auch gewaschen und mit sauberem Pullover, wie mußte ich dann erst nach zwei Tagen im Bett aussehen! Fast hätte ich welchen Gott auch immer angefleht, daß Stella mich nicht mehr gehört hätte. Aber Stella besaß ein feines Gehör, und da ging die Tür auch schon auf. Das war’s dann wohl! Ich zog mir die Decke über den Kopf – sowenig wie möglich sollte sie von mir sehen! – und schloß die Augen. Im Dunkeln spürte ich, wie »die Stimme«, wie ich sie insgeheim nannte, da der ihren allein dieser Name gebührte, warm über meinen erbärmlichen Körper lief.
    »Gott, Stella, sie ist wieder eingeschlafen. Seid Ihr sicher, Stella, daß dieser lange Schlaf normal ist? Passiert ihr das oft? Ich mache mir wirklich Sorgen!«
    »Nein, sie schläft nicht, meine Mody, aber das ist nun mal ihre Art. Entweder sie ist den lieben langen Tag auf den Beinen wie ein Brummkreisel, oder sie igelt sich ein … Nehmt doch einfach Platz und wartet. So, das Tablett lasse ich hier.«
    »Die Stimme« machte sich also Sorgen um mich! Bei dieser Entdeckung vergaß ich jegliches Hungergefühl. Und ich so plump und schlampig, ihrer nicht würdig, mit diesem häßlichen Pullover und den ungepflegten Fingernägeln! Sobald Stella das Zimmer verlassen hatte, öffnete ich die Augen, um einen Blick auf sie zu werfen. Ich starrte sie an, als hätte ich sie jahrelang nicht gesehen.Doch manchmal ist der Wunsch, ein geliebtes Gesicht nach zu langer Abwesenheit wiederzusehen, so stark, daß er blind macht, und so bin auch ich erblindet, starre sie an, ohne sie zu erkennen.
    Raucht sie? Die weißen Hände steigen langsam wie aus einem Nebel auf. Nein, sie steigen nicht auf, sie ruhen auf einem Samtkissen. Feingliedrig und groß zugleich, an den Gelenken abgeschnitten, die Fingernägel so vollkommen wie die von Heiligenstatuen. Wie zum Teufel heißt diese Heilige? Agate? Nein. Der heiligen Agate wurden die Brüste abgeschnitten, nicht die Hände. Und doch hatte Madre Leonora mir viele Male die

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