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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Geschichte der zerbrechlichen und kräftigen Hände erzählt, so kräftig, daß sie allen Torturen widerstanden, ohne daß die Knöchel brachen, die Nägel einrissen. Meine, die die Decke umklammert hielten, waren sicher schmutzig.
    »Ich hätte Stella nicht so bedrängen dürfen. Wie ich sehe, störe ich Euch, Modesta, entschuldigt bitte, aber ich war ein wenig traurig. Wir sehen uns später.«
    Das Kissen wollte sich schon meinem Blick entziehen … Zwei schwarze Höllenhunde, schwärzer als der Teufel selbst, hoben es auf, um es dem Großen Hund zu bringen, der noch schwärzer als seine Diener ist und mit schrecklichen Klauen aus Pech die keuschen Finger zuschanden machen würde.
    Ohne länger auf meine schmutzigen Nägel zu achten, warf ich mich über das Kissen und hielt es zurück.
    »Gott, Modesta! Ihr leidet und wollt es nicht zugeben. Fürchtet Ihr Stellas Sorge? Doch wenn es Euch ein Trost ist, Euch an meinem Rock zu halten, bleibe ich hier, keine Angst! Und dennoch, entschuldigt meine Hartnäckigkeit, solltet Ihr lieber einen Arzt konsultieren.«
    Was redete sie da? Noch nie hatte ich solchen Unsinngehört. Wann hätten Ärzte schon einmal einen Verliebten kuriert? Auch Mimmo hatte immer gesagt, daß kein Kraut gegen diese bösartige Pest gewachsen ist, die man Liebe nennt, um niemanden zu verschrecken. Ich hörte, wie Mela auf dem Klavier die Baßläufe hinauf und hinunter spielte. Die klare Ordnung der Noten und das tiefe, federleichte Gelächter »der Stimme« vertrieben den Schleier vor meinen Augen. Und ich sah sie. Wie dumm Stella war! Nicht nur, daß sie nicht kahl war, wenngleich sie auch kahl wunderschön gewesen wäre, lachend strich sie sich eine weiche Masse schwarzer Haare aus dem Gesicht. Das war also der Grund: »Die Stimme« hatte schwärzeres und schöneres Haar als Stella, und Stella war eifersüchtig.
    »Aber sicher, sicher, ich bleibe noch, Modesta! Nun, da Ihr wieder zu Scherzen aufgelegt seid, nehmt Ihr mir meine Sorge. Wie recht Ihr habt! Kein Arzt, keine Wissenschaft kann diese fürchterliche Krankheit heilen, die von den Dummen, wie Ihr sagt, Liebe genannt wird.«
    Nicht nur die Haare neidete Stella ihr, sondern auch die Waden, die, von der Hose befreit, schlank und wohlgeformt in so zarte Fesseln übergingen, daß sie wie aus Glas erschienen. Ich ließ ihren Rock fahren und wollte gerade nach einem Bein greifen und sehen, ob es wirklich aus Glas sei, als die eifersüchtige Stella wieder eintrat und mich in die Wirklichkeit zurückholte. Sie war eifersüchtig, doch sie mochte mich. Und mit ihrem »Möchten die Damen nun den Kaffee serviert haben?« bewahrte sie mich davor, weiter einen Unsinn nach dem anderen von mir zu geben.
    Der Beweis kam prompt, gerade als ich mich dank der heißen, realen Tasse in meiner Hand wieder unter Kontrolle hatte, in Form eines zarten, mitleidigen Lächelnsauf Joyces Lippen, die wieder ernst geworden waren. Als sei dieses neue Lächeln noch nicht genug, fügte sie hinzu:
    »Verzeiht mir, Mody, doch seit ich Euch kenne, verleitet meine Neugierde mich zu einer indiskreten Frage. Es ist Joses Schuld und sein Unvermögen, das Äußere einer Person oder eines Landes oder einer Sache wahrzunehmen. Joses Worte machen aus allem ein Abstraktum. Nur um Euch ein Beispiel zu nennen: Fragt man ihn nach einer bestimmten Person, die ihn beeindruckt hat, nach ihren Haaren, der Farbe ihrer Augen, erwidert er: ›Woher soll ich das wissen? Diese unnützen Details interessieren mich nicht. Ich habe doch gesagt, sie ist schön und intelligent, genügt das nicht? Du willst immer nur Weibertratsch hören!‹ Er hat mir also von Euch erzählt, aber nur von Eurer Kraft, Eurer Intelligenz. Und ich hatte eine Frau erwartet, die zwar nicht unbedingt alt, aber doch reif ist und keineswegs jung. Verzeiht mir, Mody, aber wie alt seid Ihr?«
    Voller Scham, da ich offensichtlich nur Dummheiten von mir gegeben hatte, hörte ich meine unsichere, dünne Stimme – oder war es Carlos Stimme? – sagen:
    »Ich bin am 1. Januar 1900 geboren. Das rechnet sich leicht, hat die Schwester im Kloster immer gesagt.«
    Und zwar so leicht, daß Joyce mit überrascht aufgerissenen Augen, als sähe sie einen Zwerg oder die böse Hexe, ausrief:
    »Aber nein, Modesta! Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen! Das freut mich, weil es Euch dann so schlecht nicht gehen kann. Doch Ihr könnt unmöglich schon dreiunddreißig sein.«
    Die Scham war vergangen – ich war nicht Carlo, der sich niemals aufregte

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