Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
zu errichten. Weißt du was, Modesta? Dieser Platon ist reaktionärer als …«
Jacopo: »Mama, bist du traurig?«
Modesta: »Nein, Jacopo, ich höre der Musik zu.«
Jacopo: »Dann bin ich still. Ich wollte dich nur etwasfragen. Von welchem Buch sprach Prando eben mit Bambú?«
Modesta: »Ach, das ist nichts … nein, besser gesagt, es ist ein für Frauen grundlegendes Buch.«
Jacopo: »Ja? Ist es von einem Italiener?«
Modesta: »Nein, es ist von August Bebel, einem deutschen Sozialisten, weißt du, aus dem Dunstkreis Rosa Luxemburgs.«
Jacopo: »Aha. Und er spricht über die Frauen?«
Modesta: »Wie der Titel sagt: ›Die Frau und der Sozialismus‹.«
Jacopo: »Und wer hat es dir gegeben? Deine Mutter?«
Modesta: »O nein. Meine Mutter konnte weder lesen noch schreiben, das weißt du doch. Ich habe es bei Onkel Jacopos Büchern gefunden. Ich habe dir von Onkel Jacopos Schatz erzählt, erinnerst du dich?«
Jacopo: »Ach ja, klar. Aber ich dachte … also … Hast du es mir nie gegeben, weil ich ein Mann bin?«
Die schmerzerfüllten Klänge der letzten Mandoline spiegeln sich in Jacopos betrübtem Blick, und Modesta erkennt ihre Ungerechtigkeit. Modesta und ungerecht! In ihrer Sorge, die zukünftige Frau in Bambú zu schützen, hat sie Jacopo, Prando und ’Ntoni vernachlässigt.
Jacopo: »Warum antwortest du nicht, Mama? Ist das Buch nur für Frauen geschrieben?«
Modesta: »Nein, Jacopo, ich bin bloß bestürzt. Deine Worte haben mir klargemacht, daß ich einen schweren Fehler begangen habe. Natürlich wendet sich das Buch an die Frauen, doch es ist von einem Mann geschrieben, und ich hätte es auch Prando und dir ans Herz legen sollen.«
Jacopo: »Das wollte ich nur wissen, Mama. Du hast immer gesagt, daß Männer und Frauen dieselben Bücherlesen müssen, dieselben Zeitungen … Ich weiß noch, wie du einmal auf Stella zornig warst, weil sie nicht wollte, daß Mela den ›Abenteurer‹ las und …«
Modesta: »Stimmt, Jacopo … Es war ein Fehler von mir. Aber wir können ihn wiedergutmachen. Du findest den Bebel bei Onkel Jacopos übrigen Büchern, den alten in meinem Arbeitszimmer, aber nimm ihn nicht mit in die Schule oder sonstwohin, denn er ist verboten.«
Jacopo: »Ach, dieses Buch auch?«
Modesta: »Aber ja! Und zu Recht … aus ihrer Sicht … Es stehen ein, zwei Fakten über die Lage der Frau darin, die den Faschisten und Nationalsozialisten gar nicht gefallen.«
Jacopo: »Ist es eines der vielen Bücher, die verbrannt wurden? Wie viele das waren! Ich will es auch deshalb lesen, weil ich dann vielleicht Bambolina und Stella besser verstehe. Tja, ich verstehe die Frauen wirklich nicht, aber anders als Prando, der behauptet, die Frauen seien ein unlösbares Rätsel. Mir machen sie manchmal angst … keine Ahnung, zum Beispiel wenn Stella mit ’Ntoni schimpft … Sie schreit dann zwar nicht oder so etwas, aber sie macht mir angst.«
Modesta: »Mache ich dir auch angst, Jacopo?«
Jacopo: »Bei dir ist das etwas anderes, du machst mir, wenn überhaupt, eher angst wie Pietro oder Prando. Weißt du, daß ’Ntoni immer sagt, er fühle sich hundertprozentig als dein Sohn und nicht als der von Stella?«
Modesta: »Vielleicht, weil Stella ungebildet ist. Vergiß das nicht, Jacopo: Bildung ist ein Privileg, und für Stella ist er mittlerweile zu gebildet und für sein Alter auch.«
Jacopo: »Vielleicht stimmt das. Aber da ist noch etwas anderes, glaube ich. Ich verehre Stella und möchte sein wie ’Ntoni.«
Modesta: »Warum denn wie ’Ntoni?«
Jacopo: »Also, weißt du, Mama, ich habe oft geträumt, du wärst nicht meine Mutter, also … wie sagt man … die Mutter, die mich gemacht hat, so wie Stella ’Ntoni gemacht hat.«
Modesta: »Ja und? Sprich weiter, warum zitterst du?«
Jacopo: »Ich schäme mich … Ich träume, daß du mich als kleines Kind gefunden hast, in eine Decke gewickelt … manchmal in einem Keller im Civita-Viertel, manchmal am Strand.«
Modesta: »Und macht dich der Traum traurig?«
Jacopo: »O nein! Im Gegenteil, er gefällt mir. Ich denke dann, daß du mich auserwählt hast, mich nicht einfach so bekommen hast … Ich weiß nicht, wie ich sagen soll: Ich denke, daß du mich lieber hast als die anderen. Ist das schlimm, was ich gesagt habe?«
Modesta: »Warum schlimm, Jacopo? Träume sind etwas Schönes. Und außerdem steckt in jedem Traum ein Stückchen Wahrheit, denn wenn ich dich nicht auf die Welt gebracht hätte, hätte ich unter Tausenden dich
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