Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
ausstrahlte. Auch Prando wird bald weiße Sprenkel in den Locken haben, Zeichen dafür, daß das Feuer sich beruhigt hat. Dankbar für diese Erkenntnis, streckt Modesta Mattia ihre Hände entgegen. Sie spürt, wie sie in den warmen, großen Handflächen ganz klein werden … Crispinas Hände?
Mattia: »Danke, Modesta. Aber jetzt müssen wir über die Bilder reden. Pietro hat angedeutet …«
Modesta: »Aber hieß es nicht, daß dir ein Finger fehlte?!«
Mattia: »Ein Finger? Auch mir wurde das zugetragen. Kaum ist man mal eine Weile weg, sprießen die Legenden. In Wirklichkeit drohte ich nicht einen Finger, sondern die ganze Hand zu verlieren. Doch ist mir nur ein Armband geblieben als Erinnerung an deine Wut. Schau, siehst du hier, unter der Manschette?«
Modesta: »Und ich drohte den Kopf zu verlieren! Sieh her, hier unter dem Pony.«
Mattia: »Sieht aus wie eine kleine Schlange.«
Modesta: »Es ist eine Schlange, Mattia. Die Schlange in meinem Körper, wie du sagtest, du hast sie ans Tageslicht gebracht.«
Mattia: »Und hat sie sich beruhigt?«
Modesta: »Im Gegenteil, sie zappelt wie wild und läßtmich bei jedem Schritt taumeln. Sie wird sich niemals beruhigen, Mattia, es ist hoffnungslos. Laß uns zum Strand gehen. Bis eben hatte ich keine Lust, den Sonnenaufgang zu sehen, aber jetzt schon. Komm!«
Mattia. »Und die Bilder?«
Modesta: »Darüber sprechen wir morgen: Näheres bei Tageslicht. Jetzt möchte ich dir Prando und Jacopo zeigen … Oh, entschuldige, du hast keine Kinder?«
Mattia: »Nein.«
Modesta: »Und tut es dir leid?«
Mattia: »Näheres, wie du sagst, bei Tageslicht, Modesta, laß uns gehen.«
Jacopo: »Wie ärgerlich, Mama, ich bin eingeschlafen! Und dann hat mich das Licht geweckt, wie ärgerlich! War er da?«
Modesta: »Das ist Jacopo, Mattia. Jacopo, ich darf dir Mattia vorstellen.«
Jacopo: »Sehr erfreut, der Herr … War er da? He, ’Ntoni, war er da?«
’Ntoni: »Nein.«
Jacopo: »Schade!«
’Ntoni: »Du hast ja eh geschlafen.«
Jacopo: »Na und, du hättest es mir erzählen können. Du kannst doch alles nachspielen.«
’Ntoni: »Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, eine Luftspiegelung darzustellen. Kein schlechter Einfall!«
Prando: »Ja klar! Vielleicht mit Mela am Klavier, wo hat man so was je gehört!«
’Ntoni: »Warum eigentlich nicht, Prando, hm? Immer mußt du den Defätisten markieren.«
Prando: »Also, defätistisch ist viel eher, wie egal mir das alles ist. Faschistische und vulgäre Ausdrücke sollten wir,sagt Mama, lieber gar nicht in den Mund nehmen. Wie sagst du noch, Mama? Ach ja: Wer das Vokabular der Faschisten gebraucht, macht es sich irgendwann zu eigen, und nach und nach arbeitet es in deinem Innern, bis du eines schönen Morgens bereit bist für sie, mit Schwarzhemd und Kniebundhose. Ich fand das immer übertrieben, aber … Warum antwortest du nicht, Mama? Oder habe ich deine Meinung etwa falsch wiedergegeben?«
Mattias Lächeln hat in Modesta jeden Zorn über dieses auch nach der durchwachten Nacht immer noch makellose steinerne Antlitz ausgelöscht. ’Ntonis Züge wirken ausgezehrt wie nach einem Fieber. Mela, mit ganz kleinen Augen, scheint wieder ihre plumpe Kittelschürze von einst zu tragen. Eine blasse, halb schlafende Bambolina lehnt an einem Boot und zittert ein wenig. Prandos gleichmütiges Profil und seine harte Stimme hingegen strotzen vor Kraft. Vielleicht war der Zorn, den sie ihm gegenüber hegte, in Wirklichkeit nur Angst.
Prando: »Wie es scheint, mein lieber ’Ntoni, hat unsere schöne Frau Mama, nachdem sie uns erst keines Blickes würdigte, aber immerhin noch mit uns sprach, nun beschlossen, uns komplett zu ignorieren.«
Modesta: »Du hast meine Meinung ganz richtig wiedergegeben. Worte nähren uns, und wie unsere anderen Nahrungsmittel muß man sie genau auswählen, bevor man sie in den Mund nimmt.«
Prando: »Heute morgen scheint Mama ganz besonders sanft erwacht zu sein! Oder liegt es daran, daß sie nicht geschlafen hat?«
Prando muß Modestas zornverhüllte Angst gespürt haben, schon als Kind muß er sie wahrgenommen haben, wenn er sich so weit vorwagt. Es ist in der Natur nicht vorgesehen, innerhalb einer Stunde wiedergutzumachen,worin man jahrelang gefehlt hat, und Modesta ist auch dieses Mal gezwungen zu warten, daß die Zeit ein gutes Wort für sie einlegt.
Modesta: »Du bist unerträglich, Prando, und ich verbiete dir, den Miesepeter zu spielen, wie Bambú sagt!«
Bambú: »Egal, Tante, laß ihn
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