Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
gewählt.«
Jacopo: »O Mama, ich wollte dir schon so lange davon erzählen, aber ich hatte immer Angst. Darf ich meinen Kopf auf deine Schulter legen? Man bekommt Kopfweh von dieser Mandoline, oder?«
Modesta: »Lehne dich an und schließe die Augen, das dämpft den Klang ein wenig.«
Noch wenige Töne, ein Freudenwirbel darüber, als einzige Mandoline das Sternenziel zu erreichen, und Jacopos Kopf wird schwer. An seinen Atemzügen merkt Modesta, daß er eingeschlafen ist wie Crispina, die, in ihren Schal gewickelt, an Pietros Brust schläft, dort, wo der Sand aufhört und die Felsen beginnen. Reglos wie Fels auf Felssitzt Pietro da und beobachtet hypnotisiert das Feuerwerk der Töne … Das ist seine Musik. Er weiß, wie man sich vom marranzano 11 in den Bann schlagen läßt, wie auch Modesta, nun, da Jacopo schläft.
Der letzte Ton löst sich von der schwarzen Himmelsscheibe und stürzt herab – eine Sternschnuppe –, alles wird still.
Jacopo: »Wie ärgerlich, Mama, ich bin eingeschlafen. Wer ist die Schönste? Hat die erste Mandoline sich schon entschieden?«
Modesta: »Nein, wir werden es gleich erfahren. Siehst du, wie er sich umschaut?«
Jacopo: »Aber warum braucht er so lange? Es ist doch kinderleicht!«
Modesta: »Das gehört zum Ritual, Jacopo, und vielleicht ist er ja wirklich unentschlossen. Schau sie dir an: Ich wüßte nicht, wen ich wählen sollte. Bambú hat einen ihrer feenhaften Momente, wie du es nennst, aber Emanuela … Wer hätte das gedacht? Innerhalb eines Jahres ist sie sogar noch schöner geworden als ihre Mutter.«
Jacopo: »Kann auch eine erwachsene Frau gewählt werden, Mama?«
Modesta: »Natürlich. Du warst noch zu klein, um dich daran zu erinnern: Stella wurde drei Jahre hintereinander gewählt.«
Jacopo: »Und vielleicht ist sie auch jetzt noch die Schönste, aber ich wüßte trotzdem …«
Modesta: »Still, Jacopo, wir müssen ganz leise sein. Pietro sieht uns schon schief an. Die richtige Entscheidung reift in der Stille, sagt er. Komm, wir gehen näherheran, er trifft seine Wahl nicht, bevor der Kreis um die Musiker nicht geschlossen ist.«
Die Siegermandoline zieht eine, zwei Runden. Bei der dritten Runde bleibt er vor Bambú und Mela stehen, die sich an den Händen halten. Dann tritt er einen Schritt zurück, doch nur, um seine Entscheidung deutlicher zu machen, nimmt sich die Gardenie aus dem Knopfloch und streckt mit einer langsamen Bewegung den Arm aus. Alle folgen stumm der Bahn, die der weiße Stern beschreibt, bis er unter Melas Kinn innehält. Bambú läßt ihre Hand los und tritt mit den anderen zurück.
Erste Mandoline: »Mit Gewißheit und nach reiflicher Überlegung sage ich euch, daß Mela die Schönste von allen ist!«
Alle außer Mela applaudieren zu seiner Wahl. Jacopo springt vor Freude in die Luft und ruft:
»Das wußte ich! Ich wußte es! Bravo, Mandoline!«
Mela flüstert:
»Warum denn ich? Warum? Wo tue ich denn nur die Gardenie hin, wo muß ich sie hinstecken?«
Erste Mandoline: »An die Brust, schließe sie in dein Musikantenherz ein, und spiele für uns und unsere Kinder und Enkelkinder in alle Ewigkeit!«
Crispina lacht, ihre Augenlider sind vom Schlaf ganz schwer, doch sie lacht wegen des Freudenapplauses. Diese Ausgelassenheit, die sie später wieder vergessen wird, ist dazu bestimmt, ihr Innerstes zu nähren, für immer.
Im Salon formt sich der Kreis nun um das Klavier und um Mela, die an den Tasten allein gegen drei Geschäfte antritt. Kein Scheinwerfer setzt sie ins Licht, und dennoch ist sie die Schönste. Die Arme und der zerbrechliche Rumpf haben dank der guten Ernährung ihre unheimliche Magerkeit von einst verloren. Gekleidet vonJoyce, frisiert von Bambolina, gesättigt von Modesta, ist die graue Kittelschürze, die über der dürren Spindel von einst hing, mitsamt der Vergangenheit verschwunden.
»Oh, Tante, erinnerst du dich noch an diesen schrecklichen Kittel? Mir waren die Waisenkinder vorher nicht aufgefallen, aber du hattest wirklich recht: Sie sehen aus wie Sträflinge! Seit Mela bei uns ist, bin ich aufmerksamer geworden und beobachte sie, wenn ich auf der Straße ihren grauen Kolonnen begegne, sie tun mir so leid! Und wie sie in der ersten Zeit aß! Weißt du, daß sie manchmal nachts aufwachte und mich bat, in die Küche gehen zu dürfen? Einmal hat sie ein ganzes Marmeladenglas auf einmal geleert, mit dem Suppenlöffel, kannst du dir das vorstellen?«
Pietro: »Eine große Ehre für unsere Mela, was, Mody? Du
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