Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
kümmerte sich nicht um uns.«
»Wer also war es?«
»Oh, laß mich, Modesta, ich halte das nicht aus!«
»Nein! Die Zeit des Schweigens und Verdrängens istvorbei. In mir ist sie vorbei, und du mußt mit mir reden. Du hast dich einer Psychoanalyse unterzogen, die dich gerettet hat, hast du mir erzählt.«
»Oh, vergiß die Freudsche Analyse, hier geht es um Bambolinas Zukunft.«
»Hängt Bambolinas und Melas Zukunft etwa nicht von unseren Einstellungen ab und unseren wenigen Errungenschaften? Oder soll ich ihnen beibringen, daß Reden und Handeln zwei verschiedene Dinge sind, so wie wir es erfahren mußten?«
»Aber Bambú wird ein ebenso nutzloses Wesen werden wie ich, Kleines.«
»Und wie ich, sprich es ruhig aus, wenn du das denkst.«
»Oh, bei dir ist das etwas anderes, dich verstehe ich nicht, und manchmal jagst du mir Angst ein. Du hast einen Sohn, hattest Männer …«
»Auch du warst verheiratet.«
»Nein, Schluß! Schluß mit diesem Verhör, oder ich bringe mich um, ich bringe mich um!«
»Und ich sage, Schluß mit diesen Selbstmorddrohungen.«
»Wäre ich doch an jenem Abend gestorben!«
»Du bist nicht gestorben, und ich liebe dich, Joyce! Rede, was bedeutet der Ehering an deinem Finger?«
»Er ist eine Lüge, Modesta, wie die gefälschten Papiere, um über die Grenze zu gelangen.«
»Verstehe, aber hattest du …«
»Pssst, pssst! Sprich das Wort nicht aus, ich hasse die Männer, ich hasse sie!«
»Aber du hast es versucht.«
»Nein! Ich hasse sie! Sie machen mir angst, schon immer, schon als kleines Mädchen. Quäl mich nicht länger, Modesta. Seit meiner Kindheit habe ich sie gehaßt.«
»Wie du auch die Frauen haßt. Das hast du einmal gesagt.«
»Ich habe sie gehaßt, bis ich dich kennenlernte, du bist eine Ausnahme.«
»Aber du hattest doch Freunde wie Carlo, Jose …«
»Genau, du bist wie sie.«
»Dann bin ich für dich wie ein Mann, meinst du das, wenn du mich eine Ausnahme nennst?«
»Oh, ich weiß nicht, ich weiß es nicht!«
»Und wenn ich wie ein Mann bin, eine Ausnahme, dann bist du wohl auch so, wenn ich das richtig verstehe. Eine Ausnahme mag ja noch angehen, aber zwei bestätigen nicht mehr die Regel. Zwei in diesem Haus, zwei weitere in einem anderen Haus, und wer weiß wie viele in zahllosen anderen. Carlo hat mir einmal gesagt: ›Versuche niemals, uns nachzuahmen, Modesta.‹ Sagt dir das nichts?«
»Nein.«
»Mir jetzt schon. Du möchtest sein wie ein Mann, du ahmst sie nach, wie er sagte, und das gibt dir das Gefühl, amputiert zu sein. Das tut mir so leid, Jò. Jò! Nie mehr werde ich dich bei diesem amputierten Namen nennen. Joyce, du bist vollständig und eine Frau.«
»Ich bin keine Frau. Ich bin eine abweichende Persönlichkeit. Jahrelang habe ich versucht, mit Hilfe der Analyse diese Abweichung zu beheben, aber wir haben versagt, er und ich …«
»Wer er? Dein Arzt? Dein Arzt hat versucht, eine Abweichung zu korrigieren?«
»Ja, von den gesunden Regeln der Natur, das sagt auch Freud.«
»Aber Joyce! Abgesehen davon, daß es sich nur um eine Andeutung handelt, betrachtet dein Freud seineArbeit nicht als abgeschlossen, er will durchaus korrigiert werden und hat sich selbst oft widerrufen. Immerzu betont er, daß er nur Wege eröffne, unvollkommene Wege für andere, die nach ihm kommen. Joyce, du verwechselst ihn mit einem Gott, ihn, der selbst die Philosophie haßt. Dein Freud ist ein guter, alter, müder Arzt, der seit Jahren an einem Krebsgeschwür im Mund leidet. Wollen wir ihn mal von seinem Podest herunterholen und dieses Geschwür genauer betrachten und vielleicht seine eigenen Theorien darauf anwenden, wie er es mit Michelangelo getan hat? Wer weiß, ob er sich mit diesem Krebs nicht dafür bestraft, daß er den Mund zu voll genommen hat, daß er an Tabus gerührt hat, an Kodizes, an Religionen. Du starrst mich an und weichst zurück wie Madre Leonora, als sie stumm in meinen Gedanken las, daß ich mich ihrem Gott verweigerte. Ihr könnt tatsächlich nicht ohne Religion leben … Wohin gehst du? Dich umbringen? Tu es nicht. Ich liebe dich, Joyce, aber denke immer daran, daß ich dich von heute an belauern werde, jede einzelne deiner Bewegungen, Mela und Bambolina dürfen nicht mit deinem Leiden in Berührung kommen, weil es eine ansteckende Krankheit ist.«
»Du liebst mich nicht mehr, Modesta, wenn du so sprichst.«
»Man kann sich lieben und trotzdem belauern, ich strebe nicht nach dem Absoluten.«
»Du liebst mich nicht mehr!«
Joyce
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