Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
dich hat und als solche ungesund ist.«
»Aber die Zukunft existiert nicht, zumindest existiert die Angst vor der Zukunft für mich nicht. Ich weiß, daß nur ein Tag nach dem anderen, eine Stunde nach der anderen Gegenwart werden. Und in dieser Gegenwart, die wir hatten – und haben –, hast du mir Glück geschenkt, neue Einsichten, du hast mich geistig wachsen lassen und … Warum sagst du ›ungesunde Beziehung‹? Joyce, du wirst doch nicht wieder von Mela und Bambolina anfangen? Du sagst nichts? Schau, jetzt ist mir sogarder Appetit vergangen, und das ist wirklich ungesund! Laß mich nachdenken, du hast noch gesagt: eine Beziehung ohne Zukunft, oder?«
»Ja.«
»Also, damit wir uns richtig verstehen … denn für mich ist sowieso klar, daß jede Beziehung ohne Zukunft ist, weil wir uns ändern und die Beziehungen dabei in uns altern, wir neue Emotionen brauchen. Vielleicht, wenn ich recht darüber nachdenke, werden die Menschen vorzeitig alt, weil sie sich auf wenige, abgesegnete Beziehungen reduzieren und auf wenige, immer gleiche Landschaften. Aber um dich zu verstehen … warum hat unsere Beziehung keine Zukunft?«
»Keine homosexuelle Beziehung hat eine Zukunft.«
»Da wären wir wieder! Das hätte ich mir denken können. Du setzt genau am Ende unserer Unterhaltung von gestern an.«
»Von vorgestern.«
»Vorgestern, einverstanden. Und während ich schlief, hast du sie in andere Worte gefaßt beziehungsweise mit psychoanalytischer Farbe überpinselt, damit du deine Grundüberzeugung nicht aufgeben mußt, die ich heute klarer sehe als zuvor: Die homosexuelle Beziehung hat keine Zukunft, weil man sie nicht bekanntgeben kann mit Hilfe der kirchlichen Trauung. Und sie trägt keine Früchte, gebiert keine Kinder, richtig?«
»Zum Teil.«
»Aber Joyce, das ist purer Konformismus!«
»Du hast diese Sicherheit, weil du Männer und Söhne hattest.«
»Einen Sohn.«
»Einen Sohn, und nun …«
»Und nun liebe ich dich, eine Frau. Und kümmeremich weder um meine Vergangenheit noch um meine Zukunft.«
»Du bist eine Ausnahme.«
»Und Beatrice? Jahrelang haben wir uns geliebt, und danach hat sie Carlo geliebt. Und so geschieht es wer weiß wie vielen anderen Frauen und Männern. Von vielen weiß ich es, und einen hast du auf dem Fest kennengelernt.«
»Wen?«
»Die erste Mandoline, er liebte einen Cousin und hat jetzt einen Sohn und auch …«
»Nein, hör auf, mit dir kann man nicht reden. Es ist schrecklich!«
»Aber hast du jemals versucht, einen Mann zu umarmen?«
»Auch wenn ich diese Art des Verhörs verabscheue, will ich dir antworten: Nein, nie! Allein die Vorstellung ekelt mich an.«
»Du hast mich jahrelang verhört, Joyce, und das hat mir geholfen, meine Vergangenheit zu verstehen, die logischen Konsequenzen daraus zu ziehen und darüber zu reden. Warum also diese Distanz, seit ich angefangen habe, dir ein paar Fragen zu stellen?«
»Weil du krank bist, mindestens so krank wie ich, und ich habe die Pflicht, es dir zu sagen, weil eines Tages diese Krankheit ausbrechen wird wie …«
»Wie denn, durch einen Selbstmordversuch? Wie bei dir?«
»Wenn dir bewußt wird, daß du deine Zeit verschwendet hast, daß du dein Talent nicht genutzt hast, daß du nichts erreicht hast.«
»Vielleicht hast du recht, wenn du sagst, ich sei krank, Joyce, aber es ist eine andere Krankheit als die deine.Jetzt bist du es, die sich mit mir identifiziert, doch deine Krankheit hat andere Wurzeln.«
»Und welche sollen das sein?«
»Macht, Joyce, Macht, die du erworben hast, indem du die Männer nachahmtest. Deine Geringschätzung für Frauen, die ich zunächst für die übliche, anerzogene hielt, die Verachtung der alten Gaia, Beatrices und Stellas, hat sich bei dir in Haß verwandelt, indem du die Männer imitiert hast und dich in den Chor der gelehrten Herren eingereiht hast.«
»Und? Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.«
»Ganz einfach, du hast dich in ihre Elite eingereiht, die dir immer wiederholt hat: ›Du bist die Ausnahme, du bist würdig, in unseren Olymp aufzusteigen …‹«
»Ich weiß trotzdem nicht, worauf …«
»Du bist zu ihnen übergelaufen, und das alte Vorurteil, diktiert von der Norm unserer Mütter und Schwestern, hat sich in dir in Haß verwandelt auf deine weibliche Seite, weil du wohl oder übel einen Busen hast und deine Tage bekommst, in einen Haß, der dir die Brust und den Bauch unfruchtbar gemacht hat.«
»Ich ertrage dieses anatomische Vokabular nicht.«
»Dabei
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