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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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steht neben der Tür, die Hand schon auf der Klinke. Außerhalb des von der Nachttischlampe beleuchteten Runds sieht Modesta kaum mehr als einen etwas dunkleren Schatten im Schwarz der künstlichen Nacht. Hinter den geschlossenen Vorhängen wäscht die Sonne wohl schon das Blut von den langen Haaren desPropheten, um dann seine nachdenklichen Züge neu zu formen. In einer oder zwei Stunden können wir mit ein paar kräftigen Zügen zu der kleinen Insel hinüberschwimmen, stimmt’s, Tuzzu?, diesem Töchterchen der großen, das wie seine Schwestern an der riesigen Brust gestillt wird, die mit dem Feuer nährt, der Milch der Sonne.
    »Und wie viele Töchter hat die große Insel, Tuzzu?«
    »Viele, viele, sie ist ein einziger, riesiger Bauch. Und dort oben, wo zwischen Wolken und kahlen Bergen Castrogiovanni liegt, ist ihr Nabel, der langsam ringsherum herabsteigt bis zum Ursprung von Leben und Tod.«
    »Und hast du ihn gesehen, Tuzzu, den Nabel?«
    »Nein, das kann niemand. Selbst dem tapfersten Mann würde schwindelig dabei. Dort oben herrscht sie allein, und niemand kann ihre Entscheidungen verstehen.«
    »Aber warum?«
    »Weil die Insel eine Frau ist wie die Sonne. Wie deine Mutter und meine Mutter, die es verstehen, dir den Samen zu entreißen und ihn in ihrem Fleisch keimen zu lassen. Zu Recht haben mein Vater und mein Großvater uns beigebracht, sie zu fürchten.«
    »Ich habe keine Angst vor meiner Mutter.«
    »Welch eine Entdeckung, eine echte Giufà-Entdeckung! Du hast keine Angst, weil du eine Frau bist, und auch als Picciridda kennst du deine Macht.«
    Tatsächlich schützt Joyces heiteres Gesicht bei Tisch Freundlichkeit vor, doch sie weiß um ihre Macht, Jacopo fürchtet sich vor ihr. ’Ntoni erschrecken Stellas Tränen. Und vielleicht versteckt Prando hinter dem Zorn seine Angst vor mir.
    Warum, Joyce, willst du dir deine Macht nicht eingestehen?
    »Modesta, endlich bist du aufgewacht! Diese merkwürdige Angewohnheit, so lange zu schlafen, macht mir angst.«
    »Aber ich bin doch gerade erst eingenickt.«
    »Du hast den ganzen gestrigen Tag verschlafen, und jetzt ist es fast Mittag.«
    »Es kommt einem vor wie gestern, was, Joyce, daß mich der Schlaf überfiel und du zu mir nach oben kamst. Wenn ich bedenke, daß ich mir seit Wochen den Kopf zerbrochen hatte, wie ich dich in mein Zimmer locken könnte. Es war wie ein Traum. Man schläft mit einem Wunsch ein, und beim Aufwachen bekommt man das Geschenk … ein Traum. Und ach, jetzt wache ich auf, und du bist zurückgekehrt.«
    »Dieser Schlaf ist nicht gesund.«
    »Wie kann er nicht gesund sein, wenn er mir Geschenke und Hunger beschert? Ich habe einen Bärenhunger.«
    »Ich meinte, er ist psychisch nicht gesund.«
    »Es ist das erste Mal, daß du mir sagst, an mir sei etwas nicht gesund. Und mit einer Ernsthaftigkeit, daß ich erschrecken würde, wenn ich nicht so hungrig wäre.«
    »Stella hat mir das Tablett gegeben.«
    »Oh, welch ein Glück! Dann muß ich nicht erst warten.«
    »Dann laß ich dich mal in Ruhe frühstücken.«
    »Aber nein, bleib doch hier, trink eine Tasse Tee mit mir. Außerdem ist es nicht nett, mich allein zu lassen, nachdem du mir gesagt hast, daß ich krank bin. Das hast du mir noch nie gesagt.«
    »Und auch wie du dich an mich klammerst, wie ein kleines Kind, ist nicht gesund.«
    »Wieso ist es nicht gesund, wenn ich dich liebe?«
    »Liebe! Vielleicht gibt es sie nicht einmal zwischen Mann und Frau, wie dann zwischen Menschen desselben Geschlechts?«
    »Was redest du da, Joyce?«
    »Die Liebe ist eine Illusion.«
    »Nun gut, ich komme dir entgegen: ›La vida es sueño‹, das Leben ist ein Traum, aber das schließt nicht aus, daß wir es leben, dieses Leben, und ich dich liebe.«
    »Du glaubst mich zu lieben, doch es ist die reine Übertragung. Du identifizierst mich mit deiner Mutter. Und nicht nur das, da du sie so früh und durch eigenes Zutun verloren hast, fühlst du dich schuldig und lebst in der ständigen Angst, mich zu verlieren.«
    »Und wenn es so wäre? Was ist krank an der Suche nach einem Glück, das man einst kannte, sei es real oder in der Vorstellung? Auch die Harmonie, die zwischen mir und Beatrice herrschte, habe ich in dir gesucht und gefunden. O Joyce, wo kommt plötzlich dieser sachliche Ton zwischen uns her?«
    »Es ist nur zu deinem Besten, Modesta. Ich war schwach, ich gebe es zu, und ich habe dir Jahre deiner Jugend gestohlen, indem ich dich in eine Beziehung hineingezogen habe, die keine Zukunft für

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