Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Schönheit, Bambú.«
»Glaubst du, wenn man sich ganz fest umarmt, kann man eine einzige Person werden? Wie oft haben wir das getan, und nichts ist passiert, Mela!«
»Wer sagt denn, daß nichts passiert ist? Ich habe es gespürt.«
»Wie schön, Mela, halt mich fest, ganz fest, ich will es auch spüren.«
»Du mußt die Augen schließen und an mich denken, nur an mich.«
»O ja, ich spüre dich, Mela, ich spüre dich.«
Modesta friert, aber Beatrice deckt sie mit ihrem seidigen Haar zu: »Weißt du, Mody, Seide wärmt noch besser als Wolle. Aber all das kannst du nicht wissen. Ich wette, daß ihr im Kloster nicht einmal davon sprechen durftet.«
»Ja.«
»Aber habt ihr euch umarmt? Habt ihr euch geküßt, wie wir es tun? Warum antwortest du nicht? War das auch verboten?«
»Strengstens.«
»Ihr Armen! O Mody, geh nicht weg … Komm, wir spielen die Szene mit dem Pagen Fernando: Du bist der Page Fernando und siehst mir in die Augen, so, sieh mich an, dann wirst du merken, daß wir uns spüren können, auch ohne uns zu küssen. Das ist schön, oder, Mody? Jetzt umarme mich, ich muß dir so viel erzählen.«
»Das ist schön, Mela! Ich habe dich genau hier drinnen gespürt, weißt du? Nein, zieh dich noch nicht an, es ist noch früh. Bleib, wie du bist, ich streichele dich, und du erzählst mir etwas.«
Warum kann man nicht immer glücklich sein? In Beatrices Tagebuch, das sie gefunden hat, steht immer dieselbe Frage: »Warum kann man nicht immer glücklich sein? Ist das etwa das Schicksal der Brandiforti, Modesta?«
»Das ist kein Schicksal. Es liegt daran, daß jeder in diesem Haus versucht, unglücklich zu sein, manchmal habeich den Verdacht, daß sie, auch wenn sie glücklich sind, es nicht zugeben wollen.«
»Aber wir zwei sind glücklich, stimmt’s, Modesta? Auch wenn die Großmutter schreit und wir nicht nach Catania fahren können, ich bin glücklich, glücklich bei dir!«
Ja, Beatrice, auf immer glücklich wie diese leisen Stimmen, die hinter der Tür flüstern.
Vielleicht vor lauter Anstrengung, den Atem anzuhalten, kommen Modesta, die an dem Holz kauert, die Tränen: Ein stummes Weinen bahnt sich langsam seinen Weg zu ihren Lippen und wird bald ein Schrei sein. Um den stillen Flug der Möwen nicht zu stören, entfernt sich Modesta langsam. Erst als sie über die Schwelle ihres Zimmers tritt, im Schutz ihrer vier Wände, kann sie sich gehenlassen.
»Wo warst du? Es ist fast sieben Uhr … und warum schluchzt du so?«
»O Jò, entschuldige.«
»Du siehst aus wie eine Wahnsinnige, warum schluchzt du so?«
»Aus Sehnsucht, Jò, nur aus Sehnsucht.«
»Sehnsucht? Ich verstehe nicht, du wirkst, als seist du gefoltert worden.«
»Nein, hilf mir, Joyce! Bist du glücklich mit mir? Wir waren doch glücklich, oder? Warum sagst du nichts?«
»Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und auf dich gewartet.«
»Das stimmt nicht. Als ich vorhin heraufkam, habe ich gesehen, wie du schliefst, ganz ruhig und entspannt. Was soll jetzt die Verstellung?«
»Was redest du da? Komm, leg dich hin, du bist müde.«
»Hilf mir, Jò.«
»Bei deinen Tollheiten? Ich habe es versucht. Du verschwendest deine Kraft, Modesta. Du verschwendest Geld und Zeit. Du weißt, wie oft ich versucht habe, dich zur Vernunft zu bringen. Du hast es nicht einmal geschafft, deine Gedichte zu sammeln, sonst könnten wir jetzt wenigstens einen Gedichtband herausgeben.«
»Was haben die Gedichte damit zu tun? Ich habe dir immer wieder gesagt, Jò, daß das geschriebene Wort für mich nur ein Spiel ist.«
»Und warum hast du Mela dann zum Studium gedrängt?«
»Weil sie arm ist! Und als armes Mädchen kann sie nur auf ihr Talent setzen, wenn sie nicht als Ehefrau eines niederen Angestellten enden will oder …«
»Du hingegen bist reich und verschwendest dein Talent.«
»O Jò! Mit zwanzig habe ich mich von meinen Ländereien befreit, weil ich nicht zur Sklavin meines Besitzes werden wollte. Mit dreißig habe ich mich von dem Wort ›Künstler‹ befreit, weil ich nicht zur Sklavin meines Talents werden wollte. Das habe ich dir gesagt und sage es noch einmal, und außerdem habe ich heute morgen herausgefunden, warum Mela so heiter ist und Bambú ebenso, seitdem wir Mela im Haus haben.«
»Was hast du herausgefunden?«
»Wenn du mich umarmst und anlächelst, sage ich es dir.«
»Es ist unglaublich, nach all den Tränen hast du nicht einmal rote Augen, und dein Gesicht ist so frisch, als hättest du die ganze Nacht
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