Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
gesagt?«
»Hast du mir denn gesagt, daß dieser Mattia zurückgekehrt ist? Kompliment, Modesta, du hast wirklich Talent darin, Leute zu beschreiben, du wärst eine tolle Schriftstellerin, wenn du nur wolltest, er ist genau so, wie du ihn geschildert hast.«
»Oh, hör auf, Joyce, das gleiche Talent, das du im Verschweigen hast. Wie hätte ich dir von Mattia erzählen sollen, wenn du seit meinem Erwachen auf mich einredest und mich beschimpfst! Oder liegt es an Mattias Rückkehr, daß du so zornig bist?«
»Da du die ganze Nacht mit ihm verbracht hast, scheint es mir …«
»O Joyce, ich bin aber auch zu dumm! Deshalb bist du so anders, wegen Mattias Rückkehr? Natürlich, ich hätte es dir sagen müssen, aber ich versichere dir, ich habe es schlicht und einfach vergessen. Bist du eifersüchtig? Das wäre jedenfalls eine Erklärung für deine Härte. Wenn es so ist, haben all diese Reden nichts zu bedeuten, da fällt mir ein Stein vom Herzen. Eifersucht ist gut. Ich wäre auch eifersüchtig … Sag mir, daß es das war, und ich schwöre dir, wenn seine Anwesenheit dich stört, schicke ich ihn weg. Umarme mich, Joyce, umarme mich!«
»Sei doch nicht so melodramatisch. Ich ertrage diese Szenen nicht. Niemand verlangt von dir, Opfer zu bringen, und … Laß mich aufstehen, mir tun alle Knochen weh von dem harten Boden. Es wird Zeit, Licht zu machen. Mit dir verliert man jegliches Gefühl für die Realität.«
»Und welche Realität wäre das?«
»Steh auf! In letzter Zeit wechselst du ständig zwischen kindischem Verhalten und Gefühlsduselei.«
»Antworte mir, von welcher Wirklichkeit sprichst du?«
»Das weißt du genau. Nun ist auch Gramsci gestorben. Wir sind dabei, alles zu verlieren. Europa befindet sich auf der Kippe zwischen Krieg und einem Frieden, der grausamer ist als jeder Krieg, und wir zwei aalen uns hier in einem goldenen Käfig.«
»Ausreden, Joyce! Gib zu, daß du eifersüchtig bist.«
»Eifersüchtig? Für solche Kindereien bin ich zu alt.«
»Und seit wann fühlst du dich alt? Wenn man dich so anschaut, wirkst du zehn Jahre jünger als damals, als wir uns kennenlernten. Nein, nein, Joyce, dein Alter brauchst du nicht vorzuschützen, das ist wirklich melodramatisch. Wie du siehst, sind Liebende weder vor Gefühlsduselei noch vor Lächerlichkeit gefeit. Oder willst du jetzt etwa auch noch behaupten, ich allein sei in diesen Jahren der Banalität der Liebe in die Falle gegangen?«
»Oh, es reicht! Ich halte es nicht mehr aus, hier zu sitzen und nichts tun zu können, während die Genossen in den Gefängnissen verfaulen oder im Kampf sterben. Gramscis Ende kommt mir vor wie ein Symbol für unser Schicksal. Verfaulen! Machtlos verfaulen! … Auf jenem Foto sah er verfault aus, nicht wie ein im Kampf Gefallener, sondern schlichtweg verfault.«
»Das verstehe ich. Wie ich dir damals gesagt habe: Wenn du eines Tages wieder bei Kräften bist, kannst du gehen. Nun bist du so stark, daß ich keine Angst mehr hätte, dich abreisen zu sehen. Aber warum mußt du deswegen die Jahre verleugnen, in denen du deine Gesundheit und deine Kraft wiedergefunden hast?«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich erkläre es dir: Warum hast du nicht sofort gesagt, daß es Zeit für dich ist zu gehen, anstatt mich anzuklagen, unsere gemeinsamen Jahre, dich selbst? Das ist undankbar.«
»Wie?«
»Ja, doch, dem Leben gegenüber … Mir kommt da ein Verdacht – allmählich beginne ich, dich klarer zu sehen, Joyce: Vielleicht kannst du nur so die noch fehlende Kraft aufbringen, indem du dir sagst, daß es verlorene Jahre waren, Jahre der Schande. Du kommst mir vor wie Franco.«
»Wer ist das?«
»Ein Freund von Prando, der freiwillig nach Spanien gegangen ist. Um sich nicht einzugestehen, daß er seiner Umgebung entkommen wollte, der Mutter, legte er sich von einem auf den anderen Tag eine faschistische Gesinnung zu. Und viele andere habe ich so fortgehen sehen. Oft melden sie sich bei der Armee, um der Armut zu entfliehen – zu unwürdig für einen Mann –, und reden sich ein, einem Ideal zu folgen. Genau so, Soldatin Jò! Nun sage mir, wer hat in dir das Pflichtgefühl geschürt, dieser Bruder, wie heißt er noch gleich?«
»Er heißt Timur.«
»Hat dieser Timur dich so verwandelt?«
»Nein, Jose.«
»Jose?«
»Ja, Timur hat mir einen alten Brief von Jose mitgebracht.«
»Ach, und darin ruft er dich zu sich?«
»Nein, das nicht. Er teilt mir mit, daß er mit den Internationalen Brigaden nach Spanien aufgebrochen
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