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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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ist und daß ich bleiben soll, wo ich bin … Als könnte ich ohne seinen Schutz keinen Schritt tun!«
    »Und wirst du mit Timur fortgehen?«
    »Auf keinen Fall! Ich brauche keinen männlichen Beschützer, ich nicht!«
    »Im Gegensatz zu der kleinen, zerbrechlichen Modesta, die Mattia zu sich ruft, damit er ihr Geld besorgt, wie?«
    »Genau! Was überhaupt nicht notwendig gewesen wäre. Du wußtest, daß du auf das Geld zählen kannst, das ich in der Schweiz habe.«
    »Aber warum sollte ich dein Geld ausgeben, Joyce, das dir noch einmal nützlich sein kann? Warum sollte ich nicht versuchen, meine Bilder zu verkaufen?«
    »Sich so zu erniedrigen und sich von einer völlig unpolitischen Person helfen zu lassen, einem Mafioso …«
    »Mattia ist kein Mafioso! Ich hole mir den zu Hilfe, der mir loyal und stark erscheint, sei es nun ein Mann oder eine Frau. Wenn ich mir auf Frauenart hätte helfen lassen wollen, um es mit deinen Worten zu sagen, hätte ich ihn vor vielen Jahren geheiratet.«
    »Aber du bist ja schon verheiratet.«
    »Das habe ich dir doch erzählt. Ich hätte meinen lieben Ippolito aus dem Weg geräumt, der vielleicht noch hundert wird! Dein falscher Stolz entspringt einem Gefühl der Minderwertigkeit … Wie kann es sein, daß du das nicht merkst?«
    »Erspare mir deine billigen Diagnosen.«
    »Das habe ich von dir gelernt, Diagnosen zu erstellen. Aber erst jetzt wird mir klar, daß wir niemals einer Meinung darüber sein werden. Und ich sehe auch, daß das Gespenst deines Bruders mit seiner Ankunft eine Mauer zwischen uns errichtet hat.«
    »Er ist kein Gespenst. Er lebt und ist äußerst gefährlich. Ich habe ihn weggeschickt, aber er wird zurückkehren, wie ich ihn kenne. Unsere Familie ist schrecklich, Modesta. Wäre ich doch nie geboren, wäre ich doch nie hergekommen, um euer Leben zu stören.«
    Ein stummes Weinen rinnt über Joyces gefaßte Züge. Wie schaffte es Beatrice, zwischen Sessel und Sofa vom Weinen zum Lachen zu wechseln? Eben noch kauerte sie, in Tränen aufgelöst, in ihrem Stuhl, um plötzlich, auf ein unsichtbares Zeichen hin, mit strahlendem Lächeln auf Modesta zuzufliegen. Und wie schaffte Joyce es, die Gleichgültigkeit ihrer noch immer unveränderten Miene in diesen Tränen aufzulösen? Die Regungen der Liebe waren letztlich immer dieselben, doch immer unberechenbar.Nur wenn sie in der Freude von einst aufgingen, waren sie das Leben selbst, doch wenn sie diese Leere brachten, war die Stunde gekommen. Hatte Joyce nicht gerade gesagt: »Es ist Zeit, Licht zu machen«? So blieb keine andere Wahl, als einen Schritt zurückzutreten und den anderen anzuschauen, zu sehen, daß er bewußt oder unbewußt entschieden hatte, aufzubrechen, allein fortzugehen. Ich trat diesem kleinen Tod entgegen, den sie für uns beschlossen hatte, und nahm ihre Hände. Ich würde nichts mehr sagen. Ein guter Anwalt weiß, wann die Sache verloren ist.
    »Wenn Timur zurückkommt, Modesta, darfst du ihn nicht treffen, er ist gefährlich. Er ist in Taormina für eine archäologische Expedition unter der Leitung Himmlers.«
    »Himmler?«
    »Wie gesagt, wir haben nicht denselben Vater. Er ist der Sohn eines Mannes, der nach Vaters Tod kam, ein Cousin, sagte meine Mutter immer. Er kam jeden Morgen zum Frühstück und unterhielt sich dann im Salon mit ihr. Er finanzierte uns. Er war sehr reich, einer der größten Wiener Bankiers. Er lebte in Istanbul, weil er es auf der Lunge hatte. Als er starb, vererbte er alles Timur, der damals sechs Jahre alt war. Ein Jahr später schickte meine Mutter Timur auf ein österreichisches Internat. Sehr viel später erfuhr ich, daß dieser ›Cousin‹ sie heiraten wollte und sie sich geweigert hatte, um dem Gedenken meines Vaters treu zu bleiben. Schönes Gedenken! Mich hat sie mit allen Mitteln zu überzeugen versucht, daß Timur ein Sohn meines Vaters sei. Aber eines schönen Tages habe ich die Wahrheit herausgefunden, auf eigene Faust … Unsere Familie ist schrecklich, schrecklich! Timur seinerseits, in dem Internat in Österreich und mit der entsprechenden Erziehung, ist … Ich kann nicht, es ist zu schrecklich!«
    »Ist er Nationalsozialist geworden?«
    »Es ist schrecklich, Modesta! Wie konnte er nur?«
    »Hatte er eine andere Wahl? Ich fürchte um Prando, obwohl er unser Vorbild und unsere Unterstützung hat. Kann ein Kind, ein Heranwachsender es aushalten, immer anders zu sein als die anderen? Und wie lange? Vor ein paar Tagen hat er mich gefragt, ob er nach Palermo

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