Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Versammlung teilnehmen wollte, ich schwöre euch, ich wollte es nicht, und nun ist es doch passiert, sage ich dir gleich, selbst wenn ich dafür in die Partei eintreten und eine Uniform anziehen muß, ich werde nach Palermo fahren. Ich will diesen Trombadori treffen, diesen Melograni, von denen Andrea immer redet. Und er hat recht, uns bleibt keine Zeit, sie von außen zu bekämpfen, wie Ratten werden wir ins Visier genommen und eingesperrt … Zu Hunderten sperren sie uns ein, zu Hunderten! Von innen heraus müssen wir die Strukturen des Faschismus angreifen!«
Seine Faust donnert auf den Tisch und läßt Crispina hochfahren, die zwischen Lachen und Weinen schwankt. Mit aufgerissenen Augen schaut sie erst Prando, dann Jacopo fragend an.
Jacopo: »Keine Angst, Crispina, sie reden nur, komm, dein Onkel nimmt dich auf den Schoß, und dann sehen wir, wie der Streit endet.«
Bambú: »Prando, du erschreckst sie doch, wenn du so mit der Faust auf den Tisch haust.«
Mela: »Sie sieht überhaupt nicht erschrocken aus. Ich war da am Anfang schreckhafter.«
Bambú: »Aber du warst schon groß, Crispina ist klein, das darf man nicht tun!«
Jacopo: »Das darf man wohl, nicht wahr, Crispina? Man darf, laß es dir von Onkel Jacopo gesagt sein, es ist schon ganz richtig so. Zuerst hörst du schön zu, wie sie diskutieren, und dann wirst du selbst lernen, wie man diskutiert und richtig antwortet.«
Mela: »Wie recht du hast, Jacopo! Ich habe viele Fortschritte gemacht, seit ich das Waisenhaus verlassen habe, aber immer noch, immer noch weiß ich genau, was ich sagen will, und kann es doch nicht ausdrücken … Ich schaffe es nicht, spontan zu sagen, was ich denke. Später im Bett kommt mir die richtige Antwort, aber dann ist es zu spät.«
Jacopo: »O ja, liebe Musikerin, das liegt wohl, außer an der fehlenden Übung in deiner Vergangenheit, auch und nicht zuletzt an deinem nicht gerade ausgeprägten grammatikalischen Feingefühl.«
Mela: »Siehst du, was ich meine, Bambú? Du könntest Jacopo jetzt die Retourkutsche verpassen, ich jedoch nicht, ich rege mich auf, bin verletzt und … und finde einfach nicht die Worte, ihm den Ball zurückzuspielen, wie er sagt.«
Jacopo: »Aber Ihnen bleibt doch die Musik, mein Fräulein, die Musik! Die hohe Kunst der Klänge, eine Universalsprache. Sie wird überall verstanden.«
Mela: »Ja, ja, und derweil nimmst du mich auf den Arm und läßt mich wie einen Volltrottel dastehen.«
Jacopo: »Man kann eben nicht alles haben, meineLiebe! Komm, Crispina, es wird dunkel, und dein Papa ist sicher schon ganz aus dem Häuschen vor Sorge. O Mama, es ist unglaublich, wie Pietro sich um seine Kleine sorgt. Meine Crispina, so süß ich dich auch finde, dein Onkel wird doch niemals in die Falle dieser väterlichen Sorge tappen, die selbst einen Riesen erfaßt, wie man am Beispiel deines Vaters sieht. Soll ich euch Licht machen, Kinder?«
Bambú: »Nein danke, es ist so schön, dem Schatten zu folgen, bis er langsam verschwindet, stimmt’s, Prando?«
Prando: »Sehr schön, Bambolinchen, vor allem wenn man wie wir weiß, daß uns ein einziger Mann aus einer Laune heraus und mit einer kleinen Handbewegung Frieden, Sonnenuntergang und Stille entreißen kann.«
In dieser Ruhe innehalten, mit der Prandos Stimme den Sonnenuntergang überzieht? Einfach hinnehmen, daß man alt genannt wurde, ein sicheres Zeichen dafür, daß man Leben geschenkt hat und mit dem Leben Rebellion? Er weiß nicht, wie sehr sein Entschluß mich freut. Doch Prando kann sich nicht mit dieser inneren Stimme zufriedengeben, die mir zuflüstert: »Er ist einer von uns!« Sein junges Leben muß wüten, um zu wachsen. Und bis heute, in der Rückschau, habe ich nicht das Recht, jenes Zimmer zu verlassen und die Augen nach dem anstrengenden Tag zu schließen. Ich muß bleiben, der Müdigkeit zum Trotz …
Prando: »Und wißt ihr, wer dieser Hand die Macht geschenkt hat, die mit einem einzigen Befehl ganze Jahre der Errungenschaften hinwegfegen kann?«
Bambú: »Der Kapitalismus, lieber Cousin, England, Frankreich, das wissen wir alles.«
Prando: »Du weißt das, ja, Bambolina! Stimmt, aber auch das Sektierertum deiner Kommunisten. Seit einemJahr haben sich mir die Augen geöffnet; sinnloses Sektierertum, das die Sozialisten und alle demokratischen Kräfte dem Faschismus in die Arme getrieben hat.«
Bambú: »Wenn sich dir die Augen geöffnet haben, indem du Andrea gelauscht hast, hättest du auch Daniel lauschen können, finde
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