Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Freundin Joyce. Möchtest du eine Zigarette, Mama? Du wirkst etwas angespannt …«
Modesta: »Ich mag Zigaretten nicht, das weißt du.«
Prando: »Das weiß ich nicht. Sie raucht sehr viel, da dachte ich …«
Modesta: »Prando, ich bin bereit, dir Rede und Antwort zu stehen, wenn du dich klar ausdrückst.«
Prando: »Vielleicht ist das nicht der richtige Augenblick.«
Modesta: »O doch! Du bist kein Kind mehr, und ich muß dich und alle anderen daran erinnern, daß in diesem Haus niemand in der Intimsphäre eines anderen schnüffelt. Bin ich jemals, ohne anzuklopfen, in dein Zimmer gekommen?«
Prando: »Nein.«
Modesta: »Habe ich jemals einen Brief geöffnet, der an dich oder Bambolina adressiert war?«
Prando: »Nie.«
Modesta: »Dann verbiete ich dir auch, in meinen Freiraum vorzudringen, der mir ebenso zusteht wie ’Ntoni, Bambolina, Mela und Jacopo. Nein! Du darfst nicht rot werden, Prando, du bist ein Mann, oder soll ich dich besser ›mein liebes Kind‹ nennen? Ich glaube nicht. Dann mußt du wissen, und ihr anderen auch, daß ich ebenso, wie ich in eurem Alter keine Erpressung seitens der Alten zuließ, mich auch heute als in deinen Augen alte Frau nicht von den Jungen erpressen lassen werde.«
Prando: »Ich erpresse dich nicht, Mama.«
Modesta: »Doch, das tust du, indem du mir im Namen deiner Jugend und aufgrund der Tatsache, daß ich deine Mutter bin, sagst, daß ich mich nur um dich kümmern soll, um dich allein! Mit der Anspielung auf das Rauchenverlangst du, daß ich mich zwischen dir und Joyce entscheide, aber ich lasse mich nicht darauf ein und sage dir, daß ich weder dir noch ihr gehöre, wie auch du nicht mit Haut und Haar Modesta gehörst. Wenn wir uns unvoreingenommen lieben können, wollen wir das tun, aber wenn diese Spannung wie zwischen zwei Großgrundbesitzern weiter steigt, rate ich dir, dich einige Zeit zu entfernen und nachzudenken. Du hattest recht, als du sagtest, du brauchtest reifere Gefährten, und die Littoriali könnten eine Gelegenheit dafür sein. Du kannst dir eine Wohnung in Palermo nehmen, vom nächsten Monat an, wenn du willst. Nein, laß mich ausreden. Du hast den ganzen Nachmittag geredet, jetzt bin ich an der Reihe, und glaube ja nicht, daß mir das Spaß macht. Jegliches Zusammenleben erzeugt auf lange Sicht Spannungen, die weder Blutsbande noch anderer Unsinn lösen können. Zum Glück sind wir nicht arm, wir können uns die Medizin für jeden von uns leisten. Morgen rufe ich Anwalt Santangelo an, der dir ein Konto in Palermo eröffnen wird. Du träumst doch immer von Palermo, oder? Atme ein wenig frische Luft, Prando, und bring uns bei deiner Rückkehr gute Nachrichten mit.«
Als ich den Salon verlasse, erkenne ich undeutlich Joyces Gesicht. Oder ist es Timurs Blick, tief wie ein Brunnen, der einen Augenblick über meine Schultern das Schweigen der Kinder betrachtet? Arme und Beine sind mir schwer, aber auch im Dunkeln kenne ich den Weg, der zum Schlaf führt. Vielleicht ist sterben nichts anderes als ein etwas längerer Schlaf, eine Erquickung ohne Ende … Ich habe mich noch nicht auf das Bett gelegt, als hinter der Tür Prandos Geschrei ertönt.
»Wenn du nicht aufmachst, bringe ich mich um, Mama, ich bringe mich um!«
Groß kommt er auf mich zu, viel größer als im Salon. Oder liegt es an dem kleinen Zimmer, daß er größer wirkt als Carmine?
»Willst du dich etwa schlafen legen, nachdem du mir die Tür gewiesen hast? Ich bringe dich um, oder ich springe aus dem Fenster, um dich nicht in Stücke zu reißen!«
Am Fenster packe ich seine Arme, er meint es nicht ernst, ich brauche ihn nur locker festzuhalten, damit er aufhört und den Kopf an die Fensterscheibe lehnt. Nun weint er, nur ein leichtes Schütteln der kräftigen Schultern, ein stilles Weinen wie bei einem Erwachsenen. Männer können nicht weinen, oder hat man es ihnen verboten? Vielleicht nährt dieses Verbot in ihnen die dumpfe Anmaßung des Padrone, mit der er mich, kaum daß er die Zärtlichkeit meiner Bewegung spürt, feindselig anstarrt? Diese mühsam heruntergeschluckten Tränen sind nicht die Tränen eines ungerecht behandelten Sohnes, sondern die Tränen eines zurückgewiesenen Mannes; derselbe Blick wie bei Mattia: »Du liebst mich nicht, Modesta!« Ich nehme meine Hände nicht von seinen Schultern, sondern streichele ihn bis zum Hals, wo seine Haut gleich der Mattias weich ist wie geschliffener Kiesel.
»Ich habe dir nicht die Tür gewiesen, Prando, das weißt du. Du selbst
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