Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
ich.«
Prando: »Diesem lächerlichen, halb französischen, halb italienischen Intellektuellen?«
Bambú: »Auch Lenin war ein Intellektueller, und auch dein Andrea ist einer, du widersprichst dir selbst, Prando.«
Prando: »Aber Andrea ist ein Arbeitersohn, und dein Daniel hat den Mund voll mit seinem Rosselli und mit Jammern und Wehklagen über die Fehler des internationalen Komitees. Angesichts der Wirtschaftskrise habe man fest an das Ende des Kapitalismus geglaubt. Man habe gedacht, die Revolution stünde vor der Tür usw. usw., und in der Zwischenzeit spalteten sich die antifaschistischen Kräfte. Es ist leicht, um einen Toten zu trauern, Bambú.«
Bambú: »Ich trauere um keinen Toten, nicht einmal um meinen Vater, und das weißt du. Jetzt machst du mich wütend. Fehler kann man ausbügeln, das hat Daniel immer gesagt. Und ich denke, daß er auch andere Direktiven mitbrachte, oder? Jetzt bist du derjenige, der sich verbeißt und die Vergangenheit bejammert.«
Prando: »Ich jammere nicht, aber ich will die Fehler nicht vergessen, damit wir sie nicht wiederholen. Und außerdem, wenn du es genau wissen willst, ist es heute nicht so einfach, zur Umkehr zu raten, wie dein Daniel behauptet, wenn er für eine Woche geschniegelt und gestriegelt aus Paris anreist. Als wär’s eine Zirkusnummer von Zauberer Bustelli! Sprich doch selbst einmal mit denitalienischen Kommunisten, dann siehst du, wie leicht es ist, sie von ihrem Sektierertum abzubringen, auf das sie jahrelang trainiert wurden. Sobald du in Lentini und Carlentini die Sozialisten nur erwähnst, siehst du schon, wie die einen ausspucken und die anderen sich lautstark zu schneuzen beginnen. Jetzt magst du sagen: Das sind doch alles Bauern, nun gut. Aber nehmen wir zum Beispiel Joyce, unsere Joyce, die ich einmal angebetet habe. Was tut sie? Ich bringe ihr junge Männer, die etwas von ihr lernen wollen, und sie rümpft die Nase und sagt: Ein Liberaler! Ein Republikaner! Als hätten wir einen riesigen Garten mit einem reichen Angebot an Blumen, unter denen wir nur die schönsten auszusuchen brauchten. Hier benötigen wir jeden Mann, jeden, und nicht etwa für die heiß ersehnte Schimäre der Revolution, sondern fürs Überleben. Du und deine Joyce, liebe Mama, ihr redet dauernd vom Faschismus, dabei seid ihr selbst Faschisten! Derselbe Fanatismus, dieselbe stimmgewaltige Rhetorik.«
Jacopo: »Ach, habt ihr wieder von vorne angefangen? Gut. Wie dunkel es hier ist. Soll ich Licht anmachen, Bambú?«
Prando: »Ja, mach uns Licht, Jacopo, das ist besser.«
Jacopo: »Entschuldigung, aber bei Sonnenuntergängen werde ich immer furchtbar melancholisch. Oh, Mela ist eingeschlafen! Und du, ’Ntoni, was soll das düstere Gesicht?«
’Ntoni: »Es ist … na ja, ich fürchte, daß Prando recht hat. Aber ich finde es beleidigend, daß er seine Mutter eine Faschistin nennt, und bei Gott, Prando, ich würde dich dafür verprügeln, wenn das nicht auch Faschisten-Manier wäre.«
Prando: »Nur nicht aufregen, ’Ntoni, du siehst ja, daßmeine Mutter sich auch nicht aus der Ruhe bringen läßt, daß sie es wahrscheinlich für Milchbubengeschwätz hält.«
Modesta: »Ich denke, wir sollten jetzt erst einmal ein paar Mißverständnisse klären.«
Prando: »Und welche, Mama?«
Modesta: »Erstens: Du weißt, daß ich euch immer habe diskutieren lassen, ohne mich einzumischen.«
Prando: »Ja, und?«
Modesta: »Zweitens: Heute nachmittag wurden viele Dinge gesagt, die ich zuerst verstehen wollte, bevor ich darauf antworte.«
Prando: »Und warum sagst du jetzt nicht deine Meinung?«
Modesta: »Weil ich fühle, daß du nicht gewillt bist, mir zu glauben, Prando. Aber mal sehen: Glaubst du mir, wenn ich sage, daß ich deiner Meinung bin?«
Prando: »Ach, Lippenbekenntnisse! Als ich dich fragte, ob ich an den Littoriali teilnehmen darf, hast du ein Gesicht gezogen …«
Modesta: »Weil ich nicht wußte, warum du das möchtest.«
Prando: »Du hast mir also mißtraut.«
Modesta: »Ich habe dir nicht mißtraut, ich hatte Angst, das ist etwas anderes.«
Prando: »Du und Angst? Das kann ich nicht glauben!«
Modesta: »Angst, weil die Littoriali der Rennstall der faschistischen Windhunde sind, nicht wahr? Woher sollte ich wissen, warum du dorthin willst, wenn du es mir nicht sagst?«
Prando: »Du hättest mir vertrauen müssen!«
Modesta: »Du verlangst von mir ein Vertrauen, das ich nicht einmal zu mir selbst habe.«
Prando: »Aber allem Anschein nach zu deiner
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