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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Aber ich glaube nicht, daß ich auf Jacopo später mal eifersüchtig sein werde.«
    »Und wieso nicht?«
    »Wenn man das so genau wüßte! Die Flut steigt, hörst du das Meer? Es klatscht an die Pfahlbauten.«
    »Stell dir vor, wie schön es wäre, wenn sich wie vonZauberhand die Rotunde vom Strand lösen und das Meer uns davontragen würde.«
    »So viele Strandbäder, Prando! Als du klein warst, gab es höchstens fünf oder sechs.«
    »Wirklich? Was ist denn jetzt los?«
    Ein hundertfaches Raunen erfüllt die Dunkelheit, die sich plötzlich auf die weiße Tischdecke herabgesenkt hat.
    »Wir haben kein Licht mehr, die Herrschaften. Es ist nicht unsere Schuld. Sehen Sie, am ganzen Strand ist der Strom ausgefallen. Wir werden unverzüglich Kerzen verteilen.«
    Im Nu verwandeln hundert kleine Flämmchen auf den Tischen die entspannte Atmosphäre von zuvor in ein lähmendes Warten.
    »Das ist noch nie passiert, Herr Hauptmann, bitte um Entschuldigung. Natürlich, die Rechnung kommt sofort.«
    »Danke schön.«
    »Ein deutscher Offizier, Mama, den hatte ich gar nicht bemerkt.«
    »Ich auch nicht.«
    »Kannst du dich noch an den Krieg erinnern?«
    »Kaum, Prando. Ich lebte damals zurückgezogen in einem Kloster.«
    »Wie ist der Krieg? Wie geht er los? Manchmal wünsche ich mir fast, er würde endlich ausbrechen.«
    »Weil du jung bist und die Jugend das Abenteuer sucht.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Erinnerst du dich, daß du als Kind immer Korsar werden wolltest, und danach Forscher? Lerne, deinen spontanen Gefühlen zu mißtrauen. Der Krieg ist kein Abenteuer, ein Abenteuer ist etwas, das ein Individuum sichselbst aussucht, nicht etwas, zu dem wir gezwungen werden.«
    »Sie sagen, wenn der Krieg ausbricht, wird alles zerstört werden. Sie sagen, die Deutschen hätten neue, starke Waffen.«
    »Daniel, du erinnerst dich an ihn, hat erzählt, daß die Luftwaffe in Spanien ganze Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht hat.«
    »Ja, aber Daniel ist ein Feigling! Ich habe auch schon andere Geschichten über den Krieg in Abessinien gehört, zum Beispiel …«
    »Von den Faschisten, Prando, trau ihnen nicht. Ich bin sicher, daß man eines Tages, den vielleicht weder du noch ich erleben werden, Kriege als Unrecht brandmarken wird.«
    »Aber ihr sprecht doch auch von Krieg.«
    »Von der Revolution, das ist etwas anderes. Eine Revolution ist die legitime Verteidigung gegen den, der dich mit der Waffe des Hungers oder der Unbildung attackiert Wie oft haben wir darüber gesprochen, Prando! Ich bitte dich, zahle, und wir fahren nach Hause. Das mit dem Strom scheint noch zu dauern, und ich habe das Gefühl, daß es nie wieder hell wird, laß uns nach Hause fahren.«
    »Natürlich, Mama. Die Rechnung, bitte!«
    »Was ist los, Mama, du zitterst ja, ist dir kalt?«
    »Nein, ich will offen zu dir sein, Prando. Deine Abenteuerlust hat mich nervös gemacht. Kauf dir ein Auto, und fahre wieder diese Rennen mit deinesgleichen, geh nach Amerika, fang an zu klauen, mach, was du willst, solange es nur aus dir selbst kommt und nicht dem Befehl eines Königs, eines Duce oder Führers folgt. Indem du den Krieg herbeisehnst, wendest du die Zukunft schonins Böse, und nicht nur deine eigene. Verstehst du das denn nicht? Es ist das letzte Mal, daß ich versuche, es dir und anderen bornierten Kerlen wie dir begreiflich zu machen. Du bist weder mein Eigentum noch das des Staates, und bilde dir nur nicht ein, ich wolle dir Befehle erteilen. Teufel noch eins! Wie soll man euch nur verständlich machen, daß viele Wünsche euch von oben eingebleut werden, um euch zu benutzen? Ich verstehe ja, wie schwer das für einen armen Schlucker sein muß, der zuerst seinen Hunger stillen und lesen und schreiben lernen muß, um zu wissen, wer er ist und was er will. Aber du, du hast Brot und Bücher, für dich gibt es keine Entschuldigung. Du bist für dich selbst verantwortlich und für diejenigen, die du morgen mit dir reißt. Und warum hältst du jetzt bei laufendem Motor an? Wir wollten doch nach Hause fahren? Ich bin müde!«

74
    Zwischen den Wellen der Pinienbäume kommt uns die hell erleuchtete Villa Suvarita entgegen wie ein zum Fest geschmückter Dampfer. Das Gitter der Einfahrt steht offen, stumm streunen die Hunde um einen Rettungswagen herum. Prando bremst und hält am Rand der lichtbeschienenen Auffahrt an, das Klappen der Wagentüren hallt herüber, gefolgt von dem stählernen Kreischen des Martinshorns.
    Die Tür ist einladend geöffnet wie zu einer Feier.

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