Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
Im leeren Salon wandern ziellos fünf vereinzelte Gestalten umher. Nur Mela und Bambú kauern umarmt im roten Samt des Sofas. Auf den Sesseln liegen Masken, Perükken, ein Domino aus schwarzer Seide wie zum Karneval.
    Stella: »O Mody, da bist du ja endlich! Pietro hat euch überall gesucht.«
    Modesta: »Ja, ja, was ist denn passiert?«
    Jacopo: »Wir haben gerade Theater gespielt, Mama, nach dem Essen …«
    Modesta: »Und dann?«
    Stella: »Ich hatte der gnädigen Frau Tee und Kekse hinaufgebracht … Sie ißt doch häufig nicht zu Abend, da dachte ich …«
    Modesta: »Aber was ist passiert? Still, Stella, laß Jacopo reden! Er scheint der einzige zu sein, der nicht den Kopf verloren hat.«
    Jacopo: »Gegen elf ist Bambolina hoch zu Joyce gegangen, sie brauchte ihren Domino für eine Nummer, und da fand sie die Tür nur angelehnt, und das Licht auf dem Nachttisch brannte. Sie hat an die Badtür geklopft, bekam aber keine Antwort. Dann sah sie, daß unter der Tür Wasser herauslief, und … Sie zittert immer noch, die arme Bambú! Zum Glück war Mattia da! Wir mußten, oder besser gesagt, er mußte mit einem Pistolenschuß das Schloß öffnen und … Es ist schrecklich! So viel Blut, Mama! ’Ntoni ist ohnmächtig geworden.«
    Modesta: »Wo ist Mattia jetzt?«
    Jacopo: »Er ist im Krankenwagen mitgefahren. Mattia hat sich zum Blutspenden bereit erklärt. O Mama, hoffentlich überlebt sie! Aber was mich am meisten erschreckt hat, war Bambú, die schreiend auf der Treppe stand und sich Joyces Domino an die Brust drückte. Wie ist das möglich?«
    Bambú: »Das habe ich doch gesagt, der Domino lag auf einem Stuhl, und da habe ich ihn genommen. Ich hatte ihn schon in der Hand, als mir auffiel …«
    Jacopo: »Aber warum hast du ihn so an dich gepreßt?«
    Bambú: »Das war der Schock, Tante, wo ich doch völlig ahnungslos war! Zum Glück habe ich den vollgesogenen Teppich unter den Füßen gespürt und an die Tür geklopft. O Mela, das ist alles so schrecklich! Ich will nicht, daß Joyce stirbt, Mela, ich will das nicht!«
    Prando: »Setz dich, Mama, du bist kreidebleich, setz dich. Soll ich ins Krankenhaus fahren?«
    Modesta: »Nein.«
    Bambú: »Antonio hat auch gesagt, es sei besser, hierzubleiben; wenn sie stirbt, müssen sie sie sowieso hierher zurückbringen, wegen der Faschisten. Das hat er leise zu Mattia gesagt, aber ich habe es gehört. O Prando, halt mich fest! Wo wart ihr bloß? Pietro sucht euch seit zwei Stunden in allen Restaurants, wo wart ihr?«
    Prando: »Tja, ich hatte eine ganz tolle Idee, ein neues Restaurant!«
    Jacopo: »Diese Stille, Mama! Ich halte das nicht aus.«
    Stella: »Die Stille des Spätsommers, Jacopo. Das passiert alle hundert Jahre.«
    Bambú: »Was passiert alle hundert Jahre, Stella?«
    Stella: »Die Stille! Tagsüber, wenn wir beschäftigt sind, bemerken wir sie nicht, aber sie ist da! Und in der Nacht erfaßt sie alles. Vor vielen Jahren zog sich das Warten bis in den Dezember hinein.«
    Bambú: »Welches Warten?
    Stella: »Auf das Wasser des Himmels, meine Bambuccia! Nach vielen Monaten der Dürre werden die Münder von Flüssen und Bächen ganz stumm und warten auf das Wasser. Aber gestern nacht gegen drei habe ich aus dem Fenster erste Blitze am Horizont gesehen, das ist ein gutes Zeichen.«
    Jacopo: »Du stehst nachts um drei am Fenster, Stella?«
    Stella: »Ich mag die Nacht. In der Nacht sieht man vieles klarer.«
    Jacopo: »Ich halte das nicht aus, Mama, sag etwas.«
    Alle hundert Jahre … Hundert Jahre ist es her, seit die Schlange der Stille um das Haus strich, in dem Carlo um sein Leben kämpfte. Ein weiches, machtvolles Streichen, während die Mauern hypnotisiert auf die Windungen des schuppigen Leibes starrten …
    Jacopo: »Ein Auto, Mama, da kommt ein Auto!«
    Bambú: »Unmöglich, die Hunde haben nicht angeschlagen.«
    Stella: »Nunzio steht am Tor, er wird sie beruhigt haben, gehen wir hinaus.«
    Stella hatte recht. Draußen klatschen große, wilde Tropfen wie lang zurückgehaltene Tränen auf Stirn und Wangen, die kaum naß werden. Durch den torgroßen Wagenschlag legt Mattia ein kleines Bündel in Pietros Arme.
    Jacopo: »Sie lebt, Mama, Mattia lächelt!«
    Die verbundenen Hände auf der weißen Bettdecke sind ohne jedes Gefühl, noch wecken sie ein Gefühl, abscheuliche Reliquien auf einem Silbertablett im schützenden Heiligenschrein. Welcher Bildhauer hat nur sein Talent mißbraucht, um solch leblosen Schmerz ohne jede Hoffnung darzustellen?
    »Verzeih,

Weitere Kostenlose Bücher