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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Schuld, daß Renan, abgesehen von der physischen Erscheinung, so ganz anders war als ich? Was konnte ich dafür, wenn sie in jeder Botschaft mit dem Bürodiener herumknutschte, sich langweilte, keine Sprachen lernte, kein Buch las? Und ›die zwei‹ komplett verschlossen in ihrer Liebe! Niemals habe ich gesehen, daß mein Vater irgendeine Frau bewundernd angesehen hätte, nicht eine! Nur sie und ihre Doggen betrachtete er mit Liebe … Uns bedachte er höchstens mit einem Seitenblick bei Abfahrt und Ankunft, wie zur Kontrolle, ob alles Gepäck beisammenwar. Und wer hätte es geahnt, daß in dieser neuen Stadt, in der riesigen, eisigen Villa, die wer weiß wie lange leergestanden hatte, mit den Öfen, die einfach nicht funktionieren wollten … Ich lag lesend im Bett, und Renan rauchte. Mein Vater hatte mir aufgetragen, ihr das Rauchen zu verbieten, aber ich habe nie etwas gesagt, ich schwöre es! Ich las damals gerade ›Die Gruft‹ von Kuprin. Das Buch stand auf dem Index, aber ich hatte es aus dem Koffer meiner Mutter genommen. Und du weißt, wie packend es ist, ich wollte es zu Ende lesen, bevor sie zum Abendessen zurück wären. Ich merkte nicht einmal … Danach erst erinnerte ich mich, daß Renan irgendwann angefangen hatte, auf und ab zu gehen. Warum steckten sie uns in all den großen Häusern immer zusammen in ein Schlafzimmer? … Sie fing an herumzulaufen und versuchte dann, sich neben mich zu legen. Das Bett war schmal, ja, es war schmal, und sie störte mich, indem sie in meinem Haar herumfummelte. Dann fragte sie: ›Gehen wir spazieren?‹ Wie hätte ich es ahnen sollen? Es war der erste Sonntag, wir kannten die Umgebung noch nicht. Ich war nicht abweisend, glaube mir, ich sagte nur: ›Papa hat es verboten, es ist gefährlich.‹ Dann wurde es dunkel, und ich machte das Licht an, um die letzten Zeilen zu lesen. Renan war nicht da, und es mußte sehr spät sein … Die letzten Zeilen habe ich nie gelesen, denn ich wußte, daß Papa und Mama jeden Moment nach Hause kommen konnten, und hoffte, daß Renan rechtzeitig von ihrem Spaziergang zurück wäre. Sie hatte gesagt: ›Dann gehe ich eben allein.‹ Ich stellte mich ans Fenster und wartete auf sie. Dieser armselige Platz mit seinen dreckigen Bänken und den traurigen Bäumen in trostloser Reihe … Ich werde ihn immer vor mir sehen! Bis der Butler an die Tür klopfte und zum Abendessen rief und … Ich fürchtetemich vor dem Essen, zu dritt ohne Renan, ich fürchtete mich vor dem Schweigen meines Vaters und wollte mir die Hände waschen, damit wenigstens sie sauber wären und er sich nicht noch darüber aufregen müßte. Im Bad fand ich dann Renan, die an einem der großen Heizungsrohre pendelte. Weißt du, diese Rohre in Bädern, so groß wie Wohnzimmer … Oh, Renan! Modesta, nimm mich in den Arm, halt mich fest, ich habe Angst!«
    Ich muß sie umarmen, obwohl mir dieses in die einbrechende Dunkelheit gehauchte Renan Knochen und Gedanken gefrieren läßt. Zusammengekauert liegt sie zitternd in meinem Schoß und umschlingt meinen Hals.
    »Beruhige dich, Joyce. Du hast recht, es war ein Unglücksfall!«
    »Nein! Das war es nicht! Immer habe ich ihr Vorwürfe gemacht, und was am schrecklichsten ist, stumme Vorwürfe … Was hat dir Timur erzählt, was?«
    »Alles, Joyce, aber ich habe ihm nicht geglaubt.«
    »Das stimmt nicht!«
    »Joyce, ich schwöre dir, ich habe ihm nicht geglaubt, ich hatte nur Angst. Du hattest recht, Timur ist gefährlich.«
    »Siehst du, siehst du? Und wenn sie wirklich alle so schlecht über Renan dachten, warum ließen sie uns dann in einem Zimmer schlafen? Warum immer die gleichen Betten, die gleichen Kleider?«
    »Und Joland? War sie nicht deine Schwester?«
    »Alles! Er hat dir alles gesagt. Verflucht soll er sein!«
    »Warum hast du behauptet, Joland sei deine Schwester?«
    »Eine Lüge, einverstanden? Es war gelogen wie alles übrige, wie … Geh weg, geh!«
    »Wie du willst, dann gehe ich. Aber Timur hat mir aufgetragen,dich zu bitten, deiner Mutter zu schreiben. Deine Mutter ist nicht tot, Joyce … Sieh mich nicht so an, du mußt auch mich verstehen, ich bin erschrocken, du hattest mir erzählt, deine Mutter sei tot. Ich, ich … aber egal, wir sprechen morgen darüber. Wirst du deiner Mutter ein paar Zeilen schreiben?«
    »Niemals! Was will sie von mir? Genügt es nicht, daß sie mich so lange gequält hat? Daß sie Joland gequält hat? … Oh, Joland, warum hast du das getan, warum?«
    »Was hat sie getan? Sprich,

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