Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
mal nach ihm schauen? Oh, zum Glück!«
Ich kenne das Zimmer gut, das Jacopo sich ausgesucht hat, doch hatte ich zuvor übersehen, wie kühn die runde Fensterfront hinausstrebt zu der großen Palme, die Einlaß zu verlangen scheint. An den Wänden, halb im Dunkeln, hängen große Tafeln mit Zahlen, Zeichnungen, Kolonnen griechischer Wörter. Die Lampe breitet ihr gelbes Licht über den Tisch, die Regale und das Skelett, das Onkel Jacopo gehörte und auf dem Speicher ausgegraben und sorgfältig abgestaubt wurde.
»Das ist ja schrecklich! Ich werde nie mehr einen Fuß in dein Zimmer setzen, wenn du dieses fürchterliche Ding nicht wegschaffst!«
»Sei nicht albern, Bambú! Es ist äußerst nützlich, besser als jedes Buch. Nur so lernt man etwas. Es ist einfach faszinierend anzuschauen, wie wir innen drin aussehen.«
»Was mußt du dir von all den vielen Schätzen auf dem Speicher ausgerechnet ein Skelett aussuchen!«
»Ich interessiere mich eben für diesen Herrn. Ich werde ihn Yorick nennen, wie Hamlet. Vielleicht sollte jeder Mann seinen Yorick haben … Und was mischst du dich überhaupt ein, Bambú, ich halte ja auch meinen Mund, wenn du Spitze und Seide von oben herunterholst, die du eben magst und die ich schrecklich trist finde.«
Als ich meine Hände auf Jacopos warme Schultern lege, beruhige ich mich, wenngleich er reglos daliegt undstur die Wand ansieht. Schon als Kind hat er das immer getan …
»Nenn mich nicht Kind.«
»Du hast recht, jetzt bist du groß.«
»Das ist es nicht, das weißt du!«
»Was weiß ich, Jacopo?«
»Daß ich nicht dein Kind bin.«
… Ich habe geträumt, ich wäre nicht dein Kind und du hättest mich in einem Körbchen gefunden, das irgend jemand unter den uralten sarazenischen Olivenbaum gelegt hat.
»Dann erzähl mal, wo ich dich dieses Mal gefunden habe? Letztes Mal war es am Strand, und du sahst nicht traurig aus, als du es erzählt hast.«
»Ich halte das nicht mehr aus, ich will sterben!«
»Oder hat dich dieser Traum immer geschmerzt, und du wolltest es verstecken, wie du es auch mit den Zähnen gemacht hast, um dem Mitleid zu entgehen? Ist es das, Jacopo? Ich weiß, daß du ’Ntonis Art nicht magst, der sich schon beim kleinsten Pickel von allen bedauern läßt.«
»Nein, nein … der Traum hat nichts damit zu tun, entschuldige, aber ich muß allein sein. Ich habe mein Ehrenwort gegeben. Bitte, geh hinunter zum Abendessen, ich muß allein sein!«
Ehrenwort, ein Mann, ein Wort, männliches Schweigen. »Ein wahrer Mann schweigt, wenn er sein Wort gegeben hat!«
»Hatten wir nicht abgemacht, Jacopo, nicht auf das Gerede der anderen zu hören und alles miteinander zu besprechen, wie wir es immer getan haben?«
»Ich habe mein Ehrenwort gegeben, dräng mich also nicht! Außerdem geht es mir schon besser, wenn duunbedingt willst, komme ich mit hinunter, ich komme zum Essen, und damit hat sich die Sache.«
Wer konnte Jacopo um sein Ehrenwort bitten und es auch bekommen? »Ein wahrer Mann gibt sein Ehrenwort nicht jedem.« Nur ein Mensch hatte die Macht dazu, jemand, der auf Zehenspitzen durch unser Leben schlich, eine sanfte Erscheinung, die kurz innehielt und dann geräuschlos wieder verschwand. Das Aufblitzen eines lachenden Gesichtes zwischen den Kulissen der Vergangenheit, eines milden Gesichtes, in dem das Versprechen lag, für das Wohl eines Kindes das Kreuz zu tragen, das Gott ihr auferlegt hatte, weckte in mir den Haß aus längst vergessenen Tagen. Kleinmütige Inès! Die Frau, die Frauen wie Männer haßte und zu feige war zum Gebären … Nach Carlos Tod hatte sie viermal abgetrieben, jedesmal mit größerer Leichtigkeit; in diesem Martyrium glaubte sie ihre Schuld zu sühnen … Und zwischen den Kulissen sehe ich sie, lächelnd und geläutert genug, um sich die heilige Frucht ihres Leibes zurückzuholen.
»Warum hast du zugelassen, daß ich geboren wurde?«
»Was hätte ich denn tun sollen? Inès war gesund und schön, wie hätte ich sie zwingen können, abzutreiben?«
Jacopos bleiches Gesicht überzieht sich mit violetten Flecken, es schüttelt seinen langen Körper, jetzt steht er auf und wendet sich ab wie zur Flucht. Ich kann ihm nicht folgen. Er ist allein in seinem Leid, allein muß er den Weg finden, der ihn herausführt … Besinnungslos läuft er durch das Zimmer, bis er wieder auf das Bett fällt, den Kopf zwischen den feinen Händen und den vor Verzweiflung geröteten Fingerknöcheln verborgen.
»Dann stimmt es also?«
»Hätte ich
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