Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
sagen sollen, daß Inès gelogen hat?«
»Nein, nein, ich weiß, daß sie nicht gelogen hat.«
Ich kann Inès’ Verbrechen nicht ein weiteres hinzufügen und in Jacopo das Bild von ihr zerstören, indem ich die Feigheit dieser Frau anprangere. Natürlich würde Jacopo mir glauben, aber ich darf meinen Händen nicht erlauben, jene Seite von Inès zu zerschlagen, die in ihm lebt, die süße, lächelnde Seite, die ich Jahr um Jahr als Seitentrieb erblühen sah, wegstrebend von dem harten und trockenen Stamm Gaias und Onkel Jacopos.
»Ich mußte ihr schwören, daß ich es dir niemals verraten würde, wie hast du es nur herausgefunden?«
»Sie ist deine Mutter, wahrscheinlich war es ihr selbst ein Bedürfnis, daß du es weißt.«
»Aber sie ist feige! Das macht mich ja so verrückt daran! Warum hat sie mich damals nicht bei sich behalten? Warum fünfzehn Jahre warten … weißt du, früher mochte ich sie ja, als ich sie Tante nannte, aber jetzt will sie, daß ich sie Mama nenne, wenn wir unter uns sind, weißt du, da will ich sie nicht mehr sehen, ich hasse sie. Es ist schlimm, zu hassen, ich habe noch nie jemanden gehaßt.«
Erneut steht Jacopo auf, um den Haß loszuwerden, der ihn auf und ab durchs Zimmer treibt, das Rückgrat so aufrecht wie nie zuvor.
»Bin ich denn eine Marionette, die man weiterreicht von Hand zu Hand? Habe ich denn keine Augen, zu sehen, und Ohren, zu hören, wie Pietro immer sagt? Bin ich dumm und naiv? Im Gegenteil, jetzt kann ich mir allerhand erklären, das Pietro mir zu Recht verschweigen mußte! Sie hat eine Rente bekommen, und nicht zu knapp, dafür, daß sie mich dir überließ. Und weißt du, was sie mir in ihrer Unverfrorenheit noch gesagt hat? Daß sie alles mir hinterlassen wird … mir, verstehst du?Als brauchte ich ihr Geld oder deines. Ich werde arbeiten, ich will von niemandem etwas! Und außerdem … und das macht mich noch wahnsinniger vor lauter Haß auf das Leben! Ich werde nicht einmal viel Geld brauchen, weil ich mittlerweile …«
»Was?«
»Ich weiß, daß ich niemals Kinder haben kann, niemals! Diese Krankheit ist erblich. Als ich geboren wurde, hatte er bereits Syphilis, anders als bei Prando, der vorher geboren wurde. O Mama, warum, warum? … Aber warum weinst du? Nicht weinen! Ich werde niemals Kinder haben, aber ich werde diese Frau auch niemals Mama nennen, niemals! Du bist meine Mutter, nicht wahr? Du hast es ja gesagt, und ich verstand es nicht, daß Bambolina dir mehr eine Tochter ist als Prando und ’Ntoni ein Neffe, obwohl Stella nicht deine Schwester ist … Du bist meine Mutter, stimmt’s? Nimm mich in den Arm, Mama … Und das wirst du auch immer bleiben, nicht wahr? Sag es!«
Endlich weint er in meinen Armen, und um das verzweifelte Zittern zu beruhigen, das ihn schüttelt, kann ich das Wort sagen, das keinen Sinn ergibt, aber wie manche Gifte in der richtigen Dosierung die Macht hat, Schmerz zu lindern.
»Immer, Jacopo, deine Mutter, immer bei dir.«
Ich merkte, daß ich an seiner Brust schluchzte, daß seine Arme mich stützten. Wie konnte Jacopo eben noch so zerbrechlich wirken und jetzt so stark? Schon einmal hatte ich so geweint, aber ich erinnerte mich nicht, wann … Es war an einem Strand gewesen, nachts, und im Schein der Fischerboote leuchteten zwei feuchte, dankbar blickende Hundeaugen. Oder war es, als sie das leere Bündel Carlos nach Hause brachten? Diese Kleiderpuppe,der sie zum Hohn Jacke, Hose und Schuhe von Carlo angezogen hatten? Niemals danach mehr hatte ich so geweint.
»Wie feige! Und ich soll eine Frau Mama nennen, die dich so zum Weinen bringt?«
»Ich habe Angst, Jacopo! Warum versuchen alle immer, uns unglücklich zu machen?«
»Hab keine Angst, Mama, ich bin bei dir.«
»All diese Tage hast du ganz allein vor dich hin gelitten, und ich habe Angst. Ich bitte dich, wenn dich der Schmerz erneut packt, verstecke ihn nicht mehr, sprich mit mir wie damals bei den Zähnen, weißt du noch? Du littest, aber immerhin waren wir zusammen.«
»Du hast meine Hand gehalten.«
»Siehst du? Allein die Einsamkeit macht den Schmerz so fürchterlich. Sie nutzen die Einsamkeit, um uns noch ärger zu treffen. Versprich mir, versprich es mir, wir müssen zusammen kämpfen.«
»Ich verspreche es, und um mein Versprechen gleich einzulösen, gestehe ich dir noch einen Schmerz.«
»Was denn noch?«
»Ich habe Magenschmerzen, wohl vor Hunger, es ist mir peinlich, aber ich habe Hunger.«
»Ich auch.«
»Aber wie kann das sein, Mama?
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