Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
zu heilen. So kann ich mich von meinen Sünden reinwaschen.«
»Von Euren Sünden, Fürstin? Verleumdungen, da bin ich sicher, gerade sprach ich noch mit der Oberin darüber.«
»Wir sind alle Sünder! Sagt der Schwester Oberin, daß ich mich berufen fühle, dieser verirrten Seele beizustehen, bis sie wieder auf den rechten Pfad gefunden hat.«
»Eine Heilige! Ich kann nur sagen, Ihr seid eine Heilige! Ich werde die Nachricht sofort weiterleiten …«
»Bei meiner Seele, fast hättest du mich überzeugt, Mody! Ich wollte schon böse werden. Aber da kommt sie ja schon wieder zurück, schneller als die Eisenbahn.«
»O Fürstin, die Oberin sagt, Ihr seid zu gütig, zu gütig! Sie meint auch, Ihr solltet Euch keine Gedanken machen, die Maestra nebenan hat sich erboten, die Zelle, oh, entschuldigt, das Zimmer mit Nina zu teilen. Sie meint ferner … aber nein, nein, was betrübt Euch?«
»Wie das, Ihr wollt mir den Trost nehmen, meine Sünden wiedergutzumachen, indem ich …«
»Aber welche Sünden denn!«
»Sünden, Schwester Giuliana! Oder fühlt Ihr Euch etwa frei von Sünden? Wer frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Und wenn Gott mich hierhergebracht hat, heißt das, daß ich gefehlt habe. Anders kann es nicht sein, denn der Herr sieht alles.«
»O Heilige Jungfrau! Die Oberin, obwohl sie Euch nie gesehen hat, hat Euch doch richtig eingeschätzt! So ist das zwischen höheren Seelen, sie spricht wie Ihr. Mit ebendiesen Worten hat sie gesagt: ›Geh und versuche sie zu überzeugen, aber du wirst sehen, daß sie es ablehnt.‹ Und nun entschuldigt mich, ich werde es bestätigen, damit das ein Ende hat, ich habe viel zu tun. Wir müssen noch das blaue Papier vor die Fenster kleben, für die Verdunkelung und … Es herrscht ein Andrang, als ginge die Welt unter, das ist eher ein Weltuntergang als ein Krieg!«
Als die Tür ins Schloß fällt, schaue ich auf: Wenn Quecksilber mein Zimmer verläßt, knallt sie mit der Tür. Nein, nicht sie war es, die die Türen knallte, sie war ja nur die Kammerfrau. Gaia schreit und schlägt die Türen, und jetzt, wo sie beschlossen hat, Beatrice ins Internat zu schicken, wird sie nicht mehr so leicht davon abzubringen sein …
»Alles geregelt. Oh, was für ein Tag! Gott möge mir verzeihen, ich kann nicht mehr, den lieben langen Tag treppauf treppab! Nina kann hierbleiben … Was tut Ihr da, Fürstin? Nein, nein, ich bitte Euch, steht auf!«
Auf dem Boden kniend, die Hände vor die Augen geschlagen, um Nina und ihre mühsamen Versuche nicht zu sehen, die Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten und nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Von ihr geht diese Lachlust aus. Und die Leere im Magen muß es sein, die mich mit windesleichten Fingern kitzelt … Freudekann es ja wohl kaum sein, nie habe ich gehört, daß man im Gefängnis solche Freude empfinden kann.
»Fürstin, bitte, steht auf, ich bin Eurer nicht würdig!«
»Gott sieht uns, Schwester Giuliana, niemand von uns ist würdig, und doch sind wir alle würdig. Dankt der Oberin, und laßt mich beten zum Herrn, der mir diese Gunst erwiesen hat.«
»Betet, betet nur, ich muß gehen. Welche Demut, welche Demut! Und du, Auswurf, laß sie beten, verstanden? Laß sie beten!«
Ich grabe mir die Fingernägel in die Stirn, um mein Lachen zurückzuhalten. Es ist wirklich pure Freude, denn sobald die Tür zufällt und ich mich endlich dem Lachen ergeben kann, entschwinden schimmelnde Mauern, die erbärmlichen Liegen, der Kübel, allein Ninas gerötetes Gesicht bleibt. Jetzt, wo die Wunden allmählich verblassen, zeigen sich weiche und feine Züge in ihrem kräftigen Gesicht. Möglicherweise ist Nina unter dieser Fratze schön. Und als auch sie zu lachen beginnt und leise sagt: »Das hat mir gefallen, Mody«, kann ich nicht anders, als ihr meine Arme um den Hals zu werfen – sie ist groß, und ich muß mich auf die Zehenspitzen stellen – und sie auf den Mund zu küssen, in dem lauter kleine Perlen sitzen, so weiß, daß sie das Auge, die Gedanken blenden. Hinter den Zähnen schmeckt ihr Mund herb und süß wie mit der Kühle des Rauhreifs überzogene Brombeeren. Nina ist stark, unter Gelächter hebt sie mich hoch und vollführt mit mir ein paar Drehungen: eins- zwei-drei, eins-zwei- drei! »Und jetzt der Endspurt. Hinunter zwischen den schiefen Mauern, den Sesseln, den Kronleuchtern, die wie tausend Sonnen über meinem Kopf strahlen …«
»Dir ist schwindelig, meinst du? Das glaube ich gern, mit leerem Magen!
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