Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
Willenskraft, ihn nicht anzurühren, selbst in den längsten Hungerstunden zwischen Mittag und sieben Uhr abends.
    »Soviel Zucker, Nina! Du bist wirklich bewundernswert, ich könnte niemals widerstehen.«
    Nina lächelt, und meine Bewunderung macht sie noch schöner. Allmählich löst sich die Maske aus verheilenden Narben unter meinen Zärtlichkeiten und meinem Atem auf.
    »O ja, Mody, mach weiter, das tut gut, wenn du wüßtest, wie diese Krusten jucken! Genau wie als ich die Windpocken hatte und Mama mir die Hände ans Bett band, was ’ne Tortur! Mach weiter! Jetzt, wo ich dich kenne, will ich kein entstelltes Gesicht haben. Vorher, als ich dich noch für ’ne Spionin hielt, habe ich mich dauernd gekratzt. Hätte ich nur einen Spiegel! Du meinst, viele Krusten sind abgefallen, ohne Spuren zu hinterlassen? Ist das wahr, oder sagst du das nur, um mich zu trösten?«
    »Ich bin dein Spiegel, du kannst mir vertrauen. Ich bin der einzige Spiegel, der nicht lügt. Deine Haut wird wieder vollkommen, und abgesehen von den Ringen unter den Augen – ohne die es hier drin nicht zu gehen scheint –, hast du einen Teint, als kämst du gerade von einem Spaziergang in der ersten Frühlingssonne.«
    »Ich will nicht prahlen, aber Nina wurde schon immer für ihre gesunde Hautfarbe bewundert. Und was die Augenringe anbelangt, damit bist du auch gut dabei, Schätzchen! Heute nacht haben wir uns ganz schön verausgabt.«
    »Du hast gesagt, wir dürften es.«
    »Das ist auch kein Vorwurf, ich erinnere mich gern daran, da ich in wenigen Sekunden etwas dagegen unternehmen kann … warte einen Moment. So, ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, daß niemand so gute Zabaione oder Mayonnaise macht wie ich. Du magst Mayonnaise, was? Ich träume davon! Und ohne mich brüsten zu wollen, keine der Frauen zu Hause oder aus dem Viertelkönnte so viel aus zwei kleinen Eierchen machen. Schau, sie sehen aus wie zehn! Und jetzt ganz ruhig, langsam schlürfen, das nährt am besten.«
    Wir sehen uns in die Augen, während der dicke Saft, den sie der Sonne abgerungen hat, warm über unsere Zungen und Gaumen rinnt.
    »Der letzte Löffel für Mody, weil sie die Kleinere ist. Los, du Schlingel, hmmm … das war’s.«
    »Wie gut das war! Mir ist ganz warm, darf ich das Versteck küssen, an dem du den Zucker aufbewahrst?«
    »Nein!«
    »Dann wenigstens berühren.«
    »Na schön, mach, aber dann auf zum Spaziergang, los, beweg dich, Mody, vor allem kann um diese Uhrzeit jederzeit der Pinguin von Giuliana auftauchen. So, wir müssen wenigstens zehnmal von einer Wand zur anderen gehen …«
    »Das ist so langweilig!«
    »Klar! Schließ die Augen und stell dir vor, du gingst mit Nina durch einen Wald.«
    »Nein, nicht durch einen Wald!«
    »Hört euch das an, und wo würdest du gern spazierengehen? Sag es nur, wir haben etwas für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel.«
    »Am Meer, Nina, das habe ich so lange nicht mehr gesehen, bring mich diesmal ans Meer. Wir laufen über die lange Sandzunge, die niemals endet …«
    »Kehrt marsch! Nein, nein, du darfst dich nicht so aufstützen! Los, kehrt marsch und das Ganze von vorne … Du magst also das Meer!«
    »O ja … das ist keine Mauer … hier fangen die Felsen an, schaffst du es?«
    »Ich versuche es.«
    »Wenn du es schaffst, kommen wir vielleicht …«
    »Wohin denn, Kätzchen?«
    »Rechtzeitig zum Sonnenuntergang.«
    »Klar, wie du willst. Los, noch eine letzte Kraftanstrengung, und dann reicht es für heute.«
    »Noch eine Anstrengung, ja. Schau dort hinten, siehst du die Insel des Propheten?«
    »Für mich sieht das nach Wolken aus.«
    »Weil du sie nicht erkennst.«
    »Ich bin tatsächlich kurzsichtig.«
    »Dann vertrau mir, und wir beeilen uns. Wenn wir Glück haben, sehen wir, wie die Sonne die Stirn des Propheten küßt.«
    »Tatsächlich!«
    »Und im nächsten Moment nimmt die Sonne den Kopf mit sich hinab ins Dunkel …«
    »Warum bleibst du stehen, Nina? Wir haben noch Zeit bis zur Suppe, der Sonnenuntergang ist fern. Laß uns noch ein wenig spazierengehen.«
    »Zu heiß für mich und zu hell!«
    »Laß uns wenigstens noch auf den Hügel steigen, dort gibt es Bäume und Schatten.«
    »Ich sehe nur weiße und gelbe Steine, und wieder weiß und gelb. Gott, was für ein Elend.«
    »Das Gelbe dort sind keine Steine, sondern Ginsterbüsche, du bist wirklich kurzsichtig, Nina!«
    »Reite noch drauf herum, oh, als hätte ich es nicht schon hundertmal gesagt.«
    »Dann vertrau mir und geh

Weitere Kostenlose Bücher