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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Er sagt, daß sich die Armen immer einreden, die Reichen seien großzügig und gut, um nicht noch stärker zu spüren, wie demütigend es ist, den Nacken beugen und katzbuckeln zu müssen.«
    Mimmo hatte recht, die Sonne war schlecht für mich, sie hatte mich durcheinandergebracht. Es war nur das Bewußtsein meiner eigenen Armut, das mir Madre Leonora so schön und gut erscheinen ließ … Ich durfte nicht in der Sonne schlafen: Als mir das das letzte Mal passiert ist, bin ich in den Brunnen gefallen. Schlagartig öffnete ich die Augen. Wie lange hatte ich geschlafen? Mimmo war nicht da, aber trotzdem hatte ich seine Stimme gehört. Hatte ich das geträumt? Ich wollte gerade aufstehen, denn die Bank fühlte sich kalt an, und mir liefen lange Schauer die Arme herunter, als mich Mimmos Stimme erneut auf dem eiskalten Holz festnagelte. Mimmo hattealso wirklich gesprochen, aber nicht mit mir, und nun fuhr er fort, in seinem singenden Tonfall jemanden dort hinter dem Laub von irgend etwas zu überzeugen. Eine Eingebung sagte mir, daß ich zuhören sollte. Sie hatten mich nicht gesehen – das merkte man daran, wie sie redeten –, und die Hecke, die uns trennte, war hoch und dicht. Ich schloß die Augen und tat so, als ob ich schliefe.
    »Verzeiht, Madre Leonora, wenn ich so kühn bin, Euch zu widersprechen. Hört einmal auf einen Alten, der jedoch, auch wenn er ungebildet ist, von diesen Dingen etwas versteht. Dieses Geländer, an das Ihr Euch nachts lehnt, ist ganz verrostet. Es muß erneuert werden.«
    »Aber es ist aus Eisen und außerdem antik. Solange ich lebe, erlaube ich nicht, daß ein solches Kunstwerk gegen dieses schreckliche Geländer ausgetauscht wird, das der Dorfschmied angefertigt hat.«
    »Aber dieser Schmied versteht sein Handwerk, Madre, wenn Ihr gestattet, und er hat das neue bis ins Detail dem anderen nachgebildet.«
    »Was redest du denn da! Man sieht genau, daß es eine Imitation ist, und zwar eine schlechte.«
    »Einverstanden, Madre. Und was macht das schon? Wir montieren es ja nur ab und werfen es nicht weg. Wir montieren es vorsichtig ab und stellen es woanders auf, wo Ihr es immer sehen könnt. Aber tut mir den Gefallen, Madre, ich darf gar nicht daran denken, daß Ihr auf diesem Turm herumgeht und Euch überall dagegenlehnt.«
    »Aber es ist doch aus Eisen, Mimmo!«
    »Ja, es ist aus Eisen, aber brüchig, von den Jahren und den Unwettern zerfressen. Es gibt Stellen – erst gestern bin ich hingegangen und habe es kontrolliert –, es gibt Stellen, an denen es aussieht, als wäre es angesägt. Wie angesägt, so wahr mir Gott helfe! Bei allem Respekt, ichmöchte Euch nicht eines Nachts von dort herabstürzen sehen …«
    Die Stimme klang weiterhin bittend, aber ich hörte nicht mehr zu. Dieses »angesägt«, »als wäre es angesägt«, weckte in mir wieder den Haß, der mir allmählich abhanden kam, ertränkt in der ganzen Milch, die ich abends trinken mußte. Ich hatte Milch noch nie gemocht.

17
    Noch in derselben Nacht machte ich mich an die Arbeit. Ich mußte mich beeilen, denn Mimmo war sehr gut darin, arm und reich, Mann und Frau, Tod und Teufel zu überzeugen, wie Schwester Teresa zu sagen pflegte.
    Eine Säge war in der Gerätekammer hinter den Küchen einfach zu finden gewesen. Es gab sie in allen Formen und Größen. Und nachdem ich dieses labberige Brot und die fade Milch heruntergeschluckt hatte zwischen all den weißen, schlaffen Gesichtern – welche Farbe hätten die zukünftigen Gottesbräute auch sonst annehmen können? –, wartete ich, statt ins Bett zu gehen, bis sämtliche Türen geschlossen waren, und huschte, an die Wände gedrückt, hinaus. Dann stieg ich hoch hinauf in die kühle Dunkelheit, die noch schwärzer war als das Schwarz der Treppen. Zum Glück sah man weder Mond noch Sterne. Seit Tagen schien jeden Morgen die Sonne, aber von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen legte sich eine dichte Wolkendecke über Madre Leonoras Firmament. Sie beschwerte sich darüber. Zu dieser Jahreszeit gab es sonst keine Wolken, aber für mich war das ein Zeichen zu handeln, oder zu sägen, wie ihr wollt. Viele Nächte lang habe ich also im Schutz der Wolken bis zum Morgengrauengesägt. Ich sägte an vier verschiedenen Stellen, den vier Stellen, die das Gewicht des Fernrohrs trugen. Als die Arbeit beendet war – seit Tagen hatte ich nicht mehr geschlafen –, warf ich mich erschöpft und glücklich aufs Bett. Endlich durfte ich schlafen. Jetzt blieb nur noch das schöne Wetter

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