Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
wenigstens zu sagen, wohin sie mich schickte, fing ich an zu weinen. Ob sie sich an mir rächen wollte?

19
    Sicher hatte sie irgendeinen schrecklichen Ort ausgesucht, wo mir die Berufung auf jeden Fall kommen würde. Allzu überzeugt hatte Schwester Costanza gesagt: Ich weiß, daß wir uns wiedersehen. Ich preßte die Fäuste an die Schläfen, die mir wegen dieses »Ich weiß, daß wir uns wiedersehen« zu platzen schienen, und hörte nicht, wie die Tür aufging.
    »Was ist, weinst du, Principessa? Du hattest sie lieb, nicht wahr? Ich auch. Ich weine nicht, weil Tränen keine Männersache sind, aber tief in mir drin sieht es anders aus! Sie war eine große Signora! Nun komm schon. Es ist besser, daß du gehst. Düstere Zeiten stehen diesemKloster bevor. Gerade eben ist ein Brief aus Palermo angekommen. Schwester Costanza wird Madre Leonoras Platz einnehmen! Düstere Zeiten! Steh auf, laß mich den Koffer nehmen, ich trage ihn dir. Schwester Costanza hat mich geschickt, weil dich niemand weggehen sehen darf … Aber was ist denn, du zitterst ja. Hab keine Angst! Du beweinst sie, ja, es ist richtig, sich der Toten unter Tränen zu erinnern; sie hat dich wie eine Tochter geliebt. Nun komm schon. Du wirst sehen, daß sie dich auch im Tod nicht verläßt.«
    An Mimmos Arm geklammert – was ich früher nie hätte tun können –, fühlte ich mich ihnen nicht mehr länger zugehörig. Was konnten sie mir jetzt noch anhaben, selbst wenn sie mich hinter den halbgeschlossenen Läden all der Fenster zum Hof beobachteten? Ich klammerte mich an seinen Arm, denn das, was meine Augen sahen, war so großartig, daß es mir, mehr noch als zuvor die Angst, den Boden unter den Füßen wegzog: eine Kutsche ohne Pferde. Oder waren die Pferde unter dieser langen Haube versteckt, die in der Sonne glänzte? Sicher waren die Pferde dort drinnen und schauten durch diese großen goldgerahmten Glasaugen hinaus.
    »Das ist keine Kutsche, meine Principessa, das ist eine moderne Teufelei, die rast, als würde sie von zehn Pferden gezogen … Ich bin altmodisch, und diese ganzen Neuheiten gefallen mir nicht, ich bin vorsichtig. So eins habe ich unten im Dorf gesehen, das sah aus wie eine Mißgeburt, was weiß ich, ein riesiger Käfer, aber bei Gott, das hier nimmt einem den Atem, so schön ist es! Es sieht aus wie eine Kathedrale!«
    Mit Hilfe von Mimmo und einem großen Herrn – sicher ein Offizier, in dunkler Uniform und einem Hemd, so weiß, daß die Binden der Schwestern dagegen grauwirkten – betrat ich diese Kathedrale, ohne aber Mimmos Hand loszulassen.
    »Setzt Euch, mein Fräulein. Wenn Ihr Euch während der Fahrt nicht wohl fühlt oder irgend etwas unbequem ist, das hier ist eine Sprechmuschel, seht Ihr, die hebt Ihr hoch und sprecht hinein, damit kann ich Euch, wenn nötig, durch die Scheibe hindurch hören.«
    »Hast du gehört, Principessa? Wenn dir schlecht wird, denn das Ding ist keine Kutsche und rast wie der Teufel, dann hebst du dieses Rohr hoch und sagst es ihm.«
    »Aber wer ist das, Mimmo, ein Offizier?«
    »Nein, der Chauffeur, das ist der Chauffeur, er ist so etwas wie ein Kutscher … Und jetzt lebe wohl, Principessa. Ich weiß, daß wir uns nicht wiedersehen werden. Diese Automobil-Kutsche ist großartig, und Madre Leonora wird über dich wachen. Aber falls du irgend etwas brauchst, und Gott sei Dank kannst du schreiben, sollst du wissen, daß du mich hier findest. Vergiß nicht: Mimmo Insanguine, Gärtner im Kloster der Schwestern der Schmerzensreichen, Sciarascura. Vergiß es nicht. Lebe wohl, Principessa.«
    Der Kutscher löste meine Hand von der Mimmos und sagte freundlich:
    »Entschuldigt, Fräulein, aber es ist schon spät.«
    Und er schloß die Tür. Nachdem ich Mimmos Hand verloren hatte, drückte ich mich an die Scheibe und schaute zurück: Er winkte mir mit hoch erhobenem Arm hinterher. Ich blickte zurück, bis sein großer, in braunen Samt gehüllter Körper mit den Stämmen der Eichen verschwamm, die die mächtige Lavamauer des Klosters umgaben.

20
    Als das Eichenmeer Mimmo verschluckt hatte, sank ich vollkommen erschöpft auf dieses Sofa, das noch weicher war als mein Bett und alle Sofas und Sessel im Musiksaal. Diese Kutsche – wie hatte Mimmo sie noch gleich genannt? – war wie ein kleines Zimmer aus dunklem Samt. An den Fenstern hingen Plisseegardinen, die ein zartes grünes Licht verbreiteten, wie Laub im Wald, wenn die Sonne vom Himmel herabbrennt. Ich zog die Gardine vor das Fenster, aus dem ich

Weitere Kostenlose Bücher