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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Mimmo gewunken hatte. Was hatte es für einen Zweck, diesen Bergen nachzuschauen, die so kahl waren wie Schwester Teresas Kopf? Einmal hatte ich diesen Kopf gesehen! Wie hatte es dazu kommen können? Es war an einem heißen Tag gewesen, an dem ich zu früh zum Unterricht erschienen war, und sie hatte ganz schnell ihre Haube wieder aufgesetzt.
    »Aber Modesta, das geht nicht, du kannst nicht einfach so hereinkommen, ohne anzuklopfen!«
    »Ich habe doch angeklopft …«
    »Na gut, das zeigt mir, daß ich nicht nur blind, sondern auch noch taub werde. Das wird auch langsam Zeit. Ich habe allmählich genug von diesen Übungen und Tonleitern und all diesen dummen Gänsen, die auf den Tasten herumhauen, als wären sie Affen und keine Geschöpfe Gottes … brr! Eigentlich ist Altwerden gar nicht so schlimm, wie immer behauptet wird, Modesta. Es hat den Vorteil, daß man die häßliche Fratze von Schwester Costanza nicht mehr sehen muß, Gott vergebe mir, und nicht mehr hören muß … Ach, lassen wir das! Und wie du siehst, hat mir erst das Alter die Erleichterung beschert, während der Hundstage diese dünnere Haube tragen zu dürfen. Aber jetzt los. Du verleitest mich zumSchwatzen, und wir schaffen nichts. Los: eins, zwei, drei, vier … eins, zwei, drei, vier …«
    Sie hatte gut daran getan, die grünen Vorhänge zuzuziehen, um Schwester Teresas kahlen Schädel nicht länger sehen zu müssen, den der Staub und die Schwüle zu vervielfachen schienen, bis er zuletzt mit dem Himmel verschwamm … Voller Schrecken faßte sie sich an den Kopf. Nein, sie hatten ihn ihr nicht kahlrasiert. Die dicken, schweren Zöpfe waren noch da, gerade noch rechtzeitig den scherenspitzen Fingern von Schwester Costanza entkommen.
    »Madre Costanza mußt du jetzt zu mir sagen, Modesta, wiederhole: Madre Costanza.«
    Oder vielleicht hatte die es sich jetzt, da sie die Zügel des Klosters in den Händen hielt, anders überlegt und war ihr gefolgt, um die Kutsche mit diesen starken Händen anzuhalten?
    »Fühlt sich das Fräulein nicht wohl? Verzeiht, aber ich habe im Rückspiegel gesehen, wie Euer Kopf nach rechts und links schwankte, da habe ich mir erlaubt anzuhalten.«
    »Nein, danke, mir geht es gut. Ich habe nur so ein flaues Gefühl im Magen.«
    »Kein Grund zur Beunruhigung, mein Fräulein. Das ist nichts. Das Automobil ruft bei Damen jeglichen Alters diese Wirkung hervor. Riecht einmal an diesem Fläschchen. Ich muß jetzt weiterfahren, denn es ist schon sehr spät. Man erwartet Euch in der Villa. Ich sehe, daß Ihr Euch besser fühlt, nicht wahr? Kaum zu glauben, aber dieses Riechsalz hilft. Wenn Ihr Euch noch einmal schlecht fühlen solltet, wißt Ihr ja, daß es hier in der Armlehne steckt. Schaut, in diesem runden Fläschchen da ist das Ammoniak.«
    Dieser Kutscher war freundlich, und das Automobil raste, seit sie sich aufrecht hielt, so schnell, daß Madre Costanza diese Kutsche nie hätte einholen können, die, wie Mimmo gesagt hatte, schneller war als der Wind.
    Während ich innerlich wiederholte: Ich muß gerade sitzen, sonst hält der Mann in diesem Glaskäfig noch einmal an, schlief ich ein.
    Als ich die Augen aufschlug, war der Glaskäfig immer noch hell erleuchtet. Aber von diesem Herrn … dem Chauffeur, das war das richtige Wort, fehlte jede Spur. Das Automobil bewegte sich jedoch noch.
    Als sie mit der Hand nach der Wand griff, um den Samt erneut zu befühlen, spürte sie statt des weichen Stoffes etwas, das so glatt war wie Seide. Dieses unerwartete Gefühl ließ sie die Augen weit aufreißen. Das war nicht länger die kleine, rasende Kammer. Diese hier stand still und war viel größer, und die Wände, wie die des Automobils mit Stoff überzogen, hatten nicht diese kleinen Fenster, sondern nur ein einziges großes, das von einer Flut weichen, durchsichtigen Stoffes kaum verdeckt wurde. Genau wie der Brautschleier der Novizinnen, wenn sie vor den Altar traten, um mit Christus vermählt zu werden.
    Sie wollte aus dem Bett springen, um hinauszuschauen, beherrschte sich aber. Wer wußte, ob das die Regeln dieses Hauses erlaubten. Sie hatte gelernt, vorsichtig zu sein, und obwohl ihr Magen vor Hunger zu schmerzen begann, blieb sie still liegen und begnügte sich damit, nur die Augen zu bewegen. Ihr Koffer war verschwunden, aber ihre Bücher standen geordnet auf einem kleinen Schreibtisch, der so sehr glänzte, als sei er aus Glas. Das Bildnis der heiligen Agate hatte man über ihr aufgehängt, knapp unter dem großen Kreuz in

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