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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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bebilderte Bände, in denen man alles finden konnte.
    Sämtliche Namen waren lateinisch. Sie mußte sie auswendig lernen. Jetzt hatte sie eine Beschäftigung: von der Bibliothek in den Garten gehen und vom Garten in die Bibliothek, um sich all diese schwierigen und seltsamen Namen einzuprägen.
    Mimmo sagte immer die Wahrheit. Diese Blumen waren wirklich sehr schön. Wenn er nur dagewesen wäre, um mit seiner schleppenden und rauhen Stimme die Stille zu durchbrechen! Statt dessen war da nur dieser Brummkreisel vom Festland, der durch ihr Zimmer wirbelte und immer das gleiche erzählte. Sie hörte gar nicht mehr hin. Bis zu dem Moment, als die andere sagte:
    »Die Fürstin ist sehr froh zu hören, daß Ihr nicht mehr so traurig seid und in die Bibliothek geht.«
    Also war das Haus nicht verlassen. Man wußte, was sie tat. Ermutigt wagte sie sich an diesem Tag auch in das Musikzimmer und schlug mit zitternden Händen den Deckel dieses Klaviers zurück, das mindestens dreimal so lang war wie das im Kloster und nicht braun, sondern schwarz und glänzend wie die Marmorsäulen in der Eingangshalle. Dieser Glanz war beängstigend, aber sie hielt die seidene Stille nicht mehr aus und nahm ihre Übungen wieder auf. Ob sie wohl störte? Im Kloster hatte man ihr nur eine Stunde pro Tag zugestanden. Die weißen, weichen Tasten verzauberten ihren Blick und ihre Finger. Man brauchte sie nur zu berühren, und der Klang stieg mächtig und süß wie der einer Orgel empor. Das war kein Klavier, oder vielleicht waren in dieser langen Truhe, wie bei dem Automobil, drei davon versteckt.
    »Die Fürstin wünscht Euch einen guten Morgen und hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, daß Ihr einen wunderbaren Anschlag habt. Sie begrüßt es auch sehr, daß Ihr trotz Eures Schmerzes wieder angefangen habt, zu studieren und Klavier zu spielen … Die Fürstin möchte wissen, ob das Essen in unserem Haus zu Eurer Zufriedenheit ist und warum Ihr nie zum Fünf-Uhr-Tee kommt. Ach so, ich verstehe, im Kloster gab es keinen Tee … Entschuldigt, Fräulein, aber die Fürstin hat mir aufgetragen, Maß zu nehmen und Eure Schultern, die Taille und den Brustumfang zu messen. Aber was tragt Ihr denn unter dem Leibchen, mein Fräulein? Warum ist das alles so eng? Ach so, die Klosterregeln. Erlaubt mir, das der Fürstin mitzuteilen … Die Fürstin bittet Euch, natürlich nur, wenn Ihr nichts dagegen habt, diese Binden einen Augenblick lang abzulegen, damit ich dengenauen Brustumfang messen kann … Die Fürstin möchte wissen, ob Ihr eine Fotografie von Euch habt. Keine Fotografie? Ach ja, das Kloster. Schade! Die Fürstin hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, daß sie für morgen früh, da sie weiß, wie fromm Ihr seid, den Chauffeur bestellt hat, der Euch zur Messe ins Dorf bringen wird. Sie möchte nur wissen, ob Ihr zur Acht-Uhr- oder zur Mittagsmesse gehen wollt, weil es zwei Stunden Fahrt sind … Acht Uhr? Gut, ich werde es ausrichten.«
    Wie viele Tage war ich nun schon hier? Wenn morgen Sonntag war, konnte es nur eine Woche sein, oder acht Tage. Es schienen Monate zu sein. Würde man sie immer allein lassen? Sicher, sie konnte lesen und lernen, das Essen war gut, aber … Da war die wieder mit ihrer Fürstin:
    »Die Fürstin hat mich beauftragt, Euch diese drei Kleider zu bringen. Sie bittet Euch, auch wenn sie weiß, wie sehr Ihr auf Eure Kittel Wert legt, die Euch an Eure Berufung erinnern, eines davon heute nachmittag zum Tee zu tragen. Ich werde Euch abholen, da Ihr diesen Flügel der Villa nicht kennt. Sie hat mir auch aufgetragen, Euch zu sagen, daß Ihr Euch nicht zu sorgen braucht: Es reicht, wenn Ihr Euch um fünf Uhr umkleidet. Nach dem Tee könnt Ihr dann wieder Euren Kittel anziehen.«
    Es waren drei Kleider: ein rosafarbenes, ein weißes mit wunderbarer Spitze und ein blaues, das zwar auffällig glänzte, aber am höchsten geschlossen war. Schade! Das rosafarbene und das weiße mit der Spitze faszinierten sie viel mehr, aber sie mußte vorsichtig sein. Und so begnügte sie sich damit, während sie das Blaue anzog und sich kämmte – sie hatte nicht viel Zeit –, die anderen beiden anzuschauen. Noch nie hatte sie etwas so Schönes gesehen, und ihr kamen die Tränen.
    »Aber was ist denn? Das Fräulein wird doch nicht weinen? Nur Mut, es ist ja nichts dabei, wenn Ihr eine Stunde lang ein Kleid tragt. Die Fürstin hat das vorausgesehen. Wenn Ihr wüßtet, wie gescheit die Fürstin ist! Sie hat es wirklich vorausgesehen, daß Ihr weint, wenn

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