Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
ausdenken.
»Tue ich dir etwa leid?«
Dieses »Tue ich dir etwa leid« löste die Knoten der Vorsicht, die mich hielten, und ich stand plötzlich neben ihr und umarmte sie beinahe.
»Wieso solltet Ihr mir leid tun, Ihr seid wunderschön, und auch wenn Ihr …«
»Also hast du es gemerkt? Um so besser! Dann muß ich mich wenigstens vor dir nicht mehr anstrengen.«
»Wozu denn anstrengen?«
»Weiß du, Modesta, wenn ich mit der Mama zusammen bin, muß ich mich immer zwingen, sowenig wie möglich zu hinken, sonst fängt sie an zu schreien. Duhast doch gehört, wie sie schreit. Vor allen Fremden muß ich mich bemühen, meinen Makel zu verbergen. Aber da du es gemerkt hast und ihr nichts sagen wirst, muß ich mich bei dir nicht mehr anstrengen. Ich sehe dir an, daß du aufrichtig bist. Was für eine Erleichterung! Mir tut das Bein so weh, wenn ich mich so anstrenge.«
Und so war es wohl wirklich, denn sie setzte die Inspektion des Zimmers vor Freude hüpfend fort – Cavallina, das Pferdchen.
Diese kleine Unregelmäßigkeit des linken Fußes ließ ihre schmale Taille noch zarter erscheinen, so daß man sie an sich drücken wollte wie eine Kostbarkeit, die jeden Moment zerbrechen konnte. Ich erinnerte mich an die Vorsicht, die mich langsam verließ, und faßte Beatrice nicht um die Taille. Aber um meine Hände zu rechtfertigen, die ihr zu nahe gekommen waren, sagte ich:
»Was für ein schöner Gürtel, das ist ein wunderbares Rot!«
»Aber Modesta, das ist doch kein Rot, sondern Bordeaux! Oh, entschuldige, das sind natürlich alles Dinge, die dich nicht interessieren … Genau deshalb konnte ich mich nicht entschließen, dir zu sagen, weshalb dein Zimmer nicht so fröhlich ist wie meins. Du betest immer und bist so ernst!«
»Aber nein, Beatrice, sagt es mir doch, ich möchte es gern wissen.«
»Es liegt daran, daß es hier keinen Spiegel gibt. Siehst du den Schatten dort auf der Tapete? Hier hat einmal ein Spiegel gehangen. Sie sind wunderschön, weißt du, die mit den vergoldeten Rahmen aus geschnitzten Blumen. Ich habe so einen in meinem Zimmer … Wer weiß, wieso sie ihn abgenommen haben? Deshalb wirkt das Zimmer traurig. Ach so, jetzt weiß ich, warum! Im Kloster habenin deinem Zimmer auch keine Spiegel gehangen, nicht wahr? Und sicher willst du auch keinen, das ist zu eitel. Quecksilber hat mir erzählt, daß du dich nicht einmal in dem kleinen Spiegel über dem Toilettentisch betrachtest, wenn du dich kämmst.«
»Ja, es ist uns nicht erlaubt, uns im Spiegel anzusehen.«
»Ach so. Jedenfalls, deshalb ist das Zimmer traurig. Wenn hier ein Spiegel hinge, würde er selbst die wenige Sonne, die heute scheint, einfangen … Siehst du, man hatte ihn extra so angebracht, daß er noch den kleinsten Lichtstrahl, der durch das Fenster hereindringt, erhascht. Natürlich, so wirkt die Tapete erloschen. Wenn du willst … vielleicht würde es dir nicht schaden. Und vielleicht könntest du trotzdem beten, wenn du willst …«
»Ich werde darüber nachdenken.«
23
Und ich dachte darüber nach. Statt zu beten, dachte ich: Hatte ich alles falsch gemacht, so wie mit dem Kleid? Vielleicht sollte ich meine Vorsicht über Bord werfen? Oder vielleicht waren die hier so wie Madre Leonora und Schwester Costanza, die anders redeten, als sie dachten?
Wenn ich mit Beatrice im Garten, im Musikzimmer oder im Pfauensalon zum Tee war, schien mir alles klar. Alles, selbst ihr unsicherer Schritt, sagte mir, daß ich ihr vertrauen und lächeln konnte. Aber wenn ich allein war, packte mich erneut der Zweifel und führte mich auf meinen alten Weg der Vorsicht zurück. Ein Weg, der traurig war und nur ins Kloster führte. Aber wenigstens kannte ich diesen Weg. »Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach«, hatte meine Mutter immer gesagt.Und wenn das nun einmal mein Schicksal sein sollte … Schicksal, noch so ein Wort meiner Mutter. Gab es überhaupt so etwas wie das Schicksal?
»Aber was denn für ein Schicksal! Das Schicksal dieses Fleckchens Erde wäre es gewesen, eine Lavawüste zu bleiben, und wir haben es in drei Generationen in ebenso fruchtbares Land verwandelt wie das unten im Tal. Schicksal – alles nur unnützes Weibergeschwätz!«
Mimmo hatte recht. Ich wollte keines von diesen Weibern sein. So wie die Fürstin wollte ich werden, die war wirklich eine starke Frau mit dem Willen eines Mannes. Wenn sie doch nur weiter geschrien hätte! Aber nach dem ersten Wutausbruch schwieg sie. Jeden Tag kam sie zum Tee
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