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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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durfte nicht mehr daran denken.
    Was hatte mich so aufgebracht? Seine Stärke? Die Leichtigkeit, mit der er mich hochgehoben hatte wie einen Stuhl? Wenn das stimmte, dann war das kein gesunder Haß, wie ich gedacht hatte. Hinter diesem Haß verbarg sich nur die Angst, die er mir einflößte. Es war hart, sich die eigene Schwäche und Feigheit einzugestehen, aber ich mußte mich mit dieser Tatsache auseinandersetzen. Der Ausflug aus dem Schloß war ein richtiger Kampf gewesen. In seinen Mauern fühlte ich mich sicher und stark, aber die Hütte und das Kind an der Tränke hatten gereicht, um die Vergangenheit zurückkehren zu lassen.Auf diese Art kehrte also die Vergangenheit zurück … nicht in Gestalt derselben Personen, wie im Roman, sondern mit neuen, die in uns die Erinnerung an nicht überwundene Ängste wecken. Und das war sehr gefährlich. Ich durfte nicht versuchen, die Vergangenheit zu vergessen, wie ich gedacht hatte, als ich aus Carmelas Hütte floh, sondern mußte mich im Gegenteil immer an alles erinnern, um meine Ängste zu beherrschen und mich mit ihnen für neue Auseinandersetzungen zu wappnen, die mir mit Sicherheit bevorstanden. Carmela war mir wie meine Mutter vorgekommen. Es war die alte Angst gewesen, die mich das Tuch hatte verlieren lassen. Auch Carmine hatte mir Angst gemacht, aber nicht auf dieselbe Art wie Madre Leonora. Und was für eine Angst jagte mir die Fürstin ein? Das war der richtige Weg: So wie man die Grammatik und die Musik studierte, mußte man auch die Gefühle untersuchen, die andere in uns hervorrufen.
    Das Gefühl der Wärme und der Befreiung, das bei diesem Gedanken in mir aufstieg, bestätigte mir, daß ich etwas Vernünftiges entdeckt hatte. Ich schloß die Augen und sah mich durch das Korn laufen, zitternd wie ein Mädchen von sieben oder acht Jahren. Dieser Ausflug hatte mich nur dann weitergebracht, wenn ich mir von nun an stets vor Augen hielt, daß dieses kleine Mädchen mit seinen kindlichen Ängsten durch eine Mauer, einen Lichtstrahl oder ein Gesicht wieder in mir geweckt werden und mit seinem Schrecken all meine Pläne und mein Glück als Achtzehnjährige ruinieren konnte. In wenigen Monaten würde ich achtzehn Jahre alt werden. In drei Tagen, nein, in zwei, würde ich Fürstin, auch wenn das bedeutete … Wenn die Dinge wenigstens noch so stünden, wie Carmela mir gesagt hatte!
    Die Dinge standen noch genau so, wie Carmela mir gesagt hatte. Und es war gar nicht schlimm, auch weil Pietro statt eines Ehebetts ein zweites kleines Bett in das Zimmer gestellt hatte, das durch einen Nachttisch von dem des Fürsten getrennt war. An der Rückenlehne war zu meiner Sicherheit eine Klingel angebracht. Sie erklang direkt über Pietros Kopf, der im Zimmer nebenan wachte. Die ersten vierzehn Tage waren hart, aber nur, weil Ippolito mich, kaum deutete ich einen Schritt in Richtung Tür an, zart am Rock festhielt. Carmela hatte recht, er war sanftmütig. Und so mußte ich immer bei ihm im Zimmer bleiben. Aber nach und nach beruhigte er sich, und ich konnte wieder mein gewohntes Leben führen. Es war schön, ein wenig Sicherheit zu haben. Jetzt konnte ich durch die Salons, die Zimmer und den Garten laufen ohne die Angst – wie in der Vergangenheit –, daß mir jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Ich war Teil der Familie, das sah ich an der Art, wie man mir den Vortritt ließ, wenn ich Dienstboten, Zimmermädchen, den Tanzlehrer oder den Hauslehrer traf. Und selbst Don Antonio – was ich mir nie hätte vorstellen können – sprach mich nicht wie früher direkt an, sondern vorsichtig, mit dem Kopf eine leichte Verbeugung andeutend. Wie ich es mir vorgenommen hatte, wurde ich ein weiser, alter Herrscher. Ich war sehr freundlich zu allen, machte in Maßen Geschenke und ließ mich ab und zu für mein Unglück bemitleiden.
    »Das Leben eines so schönen und frommen Mädchens einem Ungeheuer geopfert!«
    Das rief ich allen immer wieder ins Gedächtnis, Padre Antonio im Beichtstuhl und auch den anderen. Sie durften mein Unglück nicht vergessen. Nur so konnte ich ihre volle Zustimmung finden und jeden Neid im Keimersticken. Bei Quecksilber hatte ich damit großen Erfolg. Wann immer sie mich sah, sorgte ich dafür, daß eine leichte Traurigkeit wie ein Schleier über meinem Blick lag. Einmal warf sie sich mir sogar weinend zu Füßen:
    »Mein armes Fräulein, wie macht Ihr das nur, so fröhlich und heiter zu bleiben bei dem Opfer, das Ihr bringt.«
    Opfer! Ich hatte jahrelang

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