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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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wollte nicht. Verzeiht, wenn ich gestört habe. Zu Diensten, mein Fräulein.«
    Es war gefährlich, aber ich mußte es wissen. Glücklicherweise hatte ich keinen Centesimo von dem Geld ausgegeben, das mir die Fürstin jeden Monat zahlte, seit ich die Führung des Hauses übernommen hatte.
    Als die Sonne hoch am Himmel stand und ich sicher sein konnte, daß alle Männer auf den Feldern waren undman sich in der Villa wegen der großen Hitze in die Zimmer zurückgezogen hatte, warf ich einen alten Kittel über, band mir wie die Bäuerinnen das unauffälligste Tuch um den Kopf, das ich finden konnte, und lief hinunter zu der weißen Mauer hinter den Bäumen. Es gab dort eine Öffnung, die nur von Selassié, dem Hund, der mich kannte, bewacht wurde, und blitzschnell war ich draußen. Ich war noch nie außerhalb der Mauern gewesen, und die endlose Weite der zum Tal hin abfallenden Felder mit ihren wogenden Ähren schlug wie ein Peitschenhieb gegen meine Beine und meine Stirn. Der Wind wehte stark, und ich kam nicht vom Fleck. Ich war nicht daran gewöhnt, mich ohne eine Mauer, die die Grenze zur Außenwelt markierte, zu bewegen. Wenn man sich vorstellte, daß ich als kleines Mädchen den lieben langen Tag über die Chiana gestreift war … All diese Jahre hatten mich geschwächt, ich vermochte diese tanzende goldene Unendlichkeit nicht einmal anzuschauen. Einen Moment lang war ich versucht umzukehren. Nein! Ich mußte mich überwinden! Und mit gesenktem Kopf, den Blick starr auf die weißen Hütten gerichtet, die ich unten im Tal ausmachen konnte, begann ich zu rennen, als würde ich verfolgt, und hielt erst an, als meine Hände eine Mauer fühlten, an der ich das verlorene Gleichgewicht wiederfand. Es war eine Viehtränke mit einer Menge Esel und Kinder.
    »Was redet die denn da! Iu nun la capisciu, e tu? «
    Wie ich wußte, seit ich bei den Nonnen gewesen war, sprach man außerhalb der Mauern eine andere Sprache.
    »Was will die? Na straniera havi a essiri, e chi voli? «
    Ein Glück, daß ich damals nicht aus dem Kloster geflohen war. Aber jetzt hatte ich Geld, und während ich Carmela Licaris Namen wiederholte, verteilte ich Münzen.
    »Ah, die da wie eine Signora redet, sucht Carmela.«
    Einer von ihnen bedeutete mir, ihm zu folgen, und führte mich wortlos zu einer Behausung, vor der ein schwarzer Schleier hing. Aber statt mich hineinzulassen, baute er sich breitbeinig vor der Tür auf, drückte sich die Mütze wie ein Erwachsener ins Gesicht und streckte die Hand aus. Ich gab ihm noch mehr Münzen, und er ging zu den anderen zurück und schrie irgend etwas, das sicherlich eine Beleidigung war. Ich klopfte an, und als die Tür aufging, stürzte ich zurück in die Vergangenheit. Eine nach Schimmel und Schweiß stinkende Dunkelheit schlug mir entgegen und ließ mich wieder zum Kind werden. Die Fliegen schwirrten gegen die Mauern. Drei Betten waren zu dem großen Bett, in dem die Mama mit Tina schlief, hinzugekommen. Hinten in der Ecke war der Herd wie immer kalt.
    »Was wünscht Ihr?«
    Die Stimme war nicht schrill wie die der Mama.
    »O heiliger Himmel, das ist doch das Fräulein Modesta! Aber was macht Ihr denn hier, mein Fräulein? Geht es Euch nicht gut? Seid Ihr weggelaufen? O mein Gott, das hier ist kein Ort für Euch, Fräulein! Ihr seid doch nicht etwa hergekommen, um Unheil über dieses Haus zu bringen, das sowieso schon so elend ist.«
    Selbst erschrocken durch ihre Angst, schrie ich, ohne es zu wollen:
    »Nein, Carmela, nein, ich bin nicht geflohen. Ich wollte nur etwas wissen …«
    »Ja, ja, ich versteh schon. Auch ich hab große Angst gehabt, als sie mich das erste Mal zu ihm gebracht haben. Und das, obwohl ich – wir sind ja hier unter uns Frauen – aus Armut und Unglück schon Bescheid wußte. Und das hat mich gerettet. Es geht nicht um das Geld, figghia 3 ,wenn ich dir das erzähle. Es ist, weil ich nicht will, daß jemand das durchmachen muß, was ich durchgemacht habe, bevor ich in das Zimmer hinein mußte … Ich nehm das Geld, aber nur die Hälfte. Und auch nur, weil wir es, wie du siehst, bitter nötig haben. Aber ich sehe, daß du es eilig hast. Wenn die merken, daß du weg bist, kriegen wir beide Ärger. Hör gut zu, Figghia, es war nicht schwer, aber du mußt dich überwinden. Ich erzähl dir jetzt alles. Du mußt wissen, ich war die erste Frau, die dieses arme Wesen zu Gesicht bekommen hat. Also, du bist zwar eine Frau, aber trotzdem weiß ich nicht, wie ich anfangen soll … Um es kurz zu

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