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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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der unbewußte Wunsch, das fortzuführen, was uns jahrelang aufgezwungen und aufgedrängt worden ist, was uns als der einzig richtige Weg eingeflüstert wurde. Mir schnürte sich die Kehle zu. Ich wollte sie nicht verlieren. Dieses abgezehrte, traurige, von Gaia überschattete Gesicht trieb mich aus dem Bett, trieb mich zu handeln. Und um zu handeln, durfte ich ihr nicht widersprechen. Ich half ihr dabei, die Zimmer in Ordnung zu halten, und zwang sie nicht, sich mit dem »Sohn des Dings« zu beschäftigen, wie sie dieses Bündel zarten Fleisches nannte, das an meiner Brust lag – so wie sie einst.
    »Du stillst selbst? Das schickt sich nicht. Eine richtige Fürstin hätte sofort eine Amme genommen.«
    Sie schlug die Türen zu wie früher ihre Großmutter. Der Lärm weckte Eriprando, der zu weinen und zu schreien begann. Er weinte immer und wehrte sich dagegen, in die Bänder gewickelt zu werden, die ihn von den Füßen bis zum Hals einschnürten. Enge und fest gebundene Bänder, damit er gerade wuchs und kräftig wurde. Strenge Bänder, um ihn zu erziehen, zu verbessern oder um seinen Körper und Geist zu versteifen? Ich konnte seine Schreie nicht ertragen und sprang aus dem Bett, voller Zorn über all die Zwänge, die sich mir nach dieser langen Reise in meinen Körper, bis an die Grenzen des Todes, in einer nie gekannten Deutlichkeit offenbarten. Und ich tat etwas, was ich noch nie zuvor getan hatte: Ich begann ebenfalls zu schreien:
    »Aufhören! Sofort aufhören!«
    Ich wollte Beatrice nicht hassen, aber sie zeigte mir eine feindselige Seite, die ich zerstören mußte. Ich riß dieTür auf, rannte den Flur entlang und schrie meinen Haß heraus. Ich hörte meine Stimme, verstand aber nicht, was ich schrie, bis mir schließlich die zitternde Quecksilber in die Hände geriet. Ich fing an, sie zu ohrfeigen, und zwischen meinen Schreien und ihrem Weinen hörte ich sie jammern:
    »Aber natürlich, Fürstin! Ich binde ihn nicht länger ein. Bitte hört auf! O Gott, ja, Ihr habt ja recht. Die junge Fürstin ist auf ihrem Zimmer … Ja, ich bringe sie sofort zu Euch.«
    Als auch Beatrice zitternd vor mir stand, durch diesen bedrohlichen Willen gealtert, gegen den sie nichts auszurichten vermochte, packte ich sie am Kopf, riß ihr die Haarnadeln heraus und zog an ihren Locken. Und als ich spürte, wie sie unter meinen Händen immer stärker zitterte, packte mich eine rasende Wut. Ich zerrte sie unter Ohrfeigen und Tritten in mein Zimmer, wobei ich der weinenden Quecksilber die Tür vor der Nase zuschlug. Ich wollte sie nicht hassen, aber ich hatte die Kontrolle über meine Hände verloren. Erst als sie vor mir auf den Boden fiel, hörte ich auf und ließ sie mitten im Zimmer liegen, um mich im Bad einzuschließen und meinen Kopf in die Schüssel mit kaltem Wasser zu tauchen. Mir war alles egal. Wenn sie Krieg wollte, dann bekam sie eben Krieg, aber einen offenen. Ich konnte mit ihr nicht so umgehen wie mit den anderen. Wir waren gleichgestellt, aneinander gebunden. Das kalte Wasser beruhigte mich, und ich ging ins Zimmer zurück. Eriprando, der immer noch wie eine Wurst in die Bänder gewickelt war, schrie aus Leibeskräften. Beatrice lag zusammengekrümmt am Boden und regte sich nicht. Ich lehnte an der Tür und betrachtete sie. Über das Stück Stirn, das zwischen den Haaren hervorschaute, rann Blut.
    Draußen klopften sie an die Tür – ich mußte öffnen. Als ich mich bewegte, umklammerten plötzlich zwei Arme meine Knie.
    »Verzeih mir, Modesta! Ich war gemein! Du hast recht, richtig gemein! Aber die Großmutter war doch immer so gut zu mir!«
    Bestürzt richtete ich sie auf. Ihre Augen waren hell geworden und glänzten, und ihre geschwollenen Lippen öffneten sich zu einem Lächeln. Die Haare fielen ihr einladend auf die runden Schultern, und ohne uns um die Rufe vor der Tür zu kümmern, küßten wir uns wie einst.

39
    Nachdem wir Eriprando von seinen Bändern befreit hatten, weinte er nicht mehr, sondern spielte mit meiner Brustwarze und mit Beatrices Haaren, die in der Sonne glänzten.
    Wenn er zu stark an ihnen zog, schrie Beatrice auf und nahm aus Rache die andere Brustwarze in den Mund, um daran zu saugen. Sie balgten um meinen Körper und versöhnten sich in diesem spielerischen Kampf. In der vollkommenen Hingabe an diese beiden Wesen, denen ich mich verbunden fühlte wie nie zuvor einem Menschen, fand ich endlich Ruhe.
    Und ich mußte mich ausruhen. Vielleicht bedeutete diese Erschöpfung, daß ich nicht

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