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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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mindestens noch ein oder zwei Monate dauern, bevor man ihn als einen solchen bezeichnen kann. Das hoffe ich zumindest.«
    »Aber trotzdem sieht man schon, daß er Euch gut steht. Nicht wahr, Beatrice?«
    Beatrice stand stocksteif da und lehnte sich so schwer gegen meine Brust, daß ich kaum sprechen konnte. Carlo durfte sich in Anwesenheit von zwei Damen, die stur stehen blieben, nicht hinsetzen, das hätte gegen die Etikette verstoßen. Wie wir so unbeweglich mitten im Zimmer standen, wirkten wir wie drei angriffsbereite Zinnsoldaten in Erwartung eines Befehls.
    »Ich befürchte, daß Beatrice mein Bart nicht gefällt. Sie schaut mich an, als würde sie mich nicht wiedererkennen.«
    Beatrice antwortete nicht. Und während mir der Schweiß ausbrach und ich versuchte, sie in Richtung eines Sessels zu schieben, verzerrte sich Carlos Lächeln zu einer Grimasse der Enttäuschung.
    »Ganz eindeutig hat mein Bart unter Freunden nicht denselben Erfolg wie draußen bei meinen Feinden. Was würde die Fürstin dazu sagen, wenn ich nach Hause ginge, um mich zu rasieren, und in einer Stunde zurückkehrte? Dann könnten wir von vorn anfangen, so als ob es diesen Bart nie gegeben hätte.«
    Ganz unerwartet drehte sich Beatrice zu mir um und brach in ein so schallendes Gelächter aus, daß Carlo einen Schritt zurücksprang und ich die Beine fest auf den Boden stemmen mußte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    »O mein Gott, ist er nicht zu komisch, Modesta? Hast du gesehen, wie er an den vier Barthaaren gezogen hat, als er ›ganz eindeutig‹ sagte? Meine Güte, Carlo, wie komisch du mit diesem Bart aussiehst! Ich habe noch nie im Leben so gelacht! Ich ersticke fast!«
    Ganz langsam steckte dieses Lachen auch uns an, und plötzlich fanden wir drei reglosen Zinnsoldaten uns lachend auf dem Sofa wieder. »Wie Kinder«, sagte Carlo und fügte hinzu: »Kinder mit angeklebtem Bart natürlich.«
    Das unterdrückte Lachen schüttelte uns erneut, bis Beatrice aufsprang und rief:
    »Genug! Genug, Carlo! Hab Erbarmen, ich ersticke!«
    »Hab Erbarmen? Ich soll Erbarmen mit dir haben, die keins mit meinem Versuch gehabt hat, mit vier Haaren in die feindliche Welt unserer männlichen, bärtigen Helden zu treten?«
    »Nein! Sag dieses Wort nicht mehr, ich ersticke!«
    »Na gut, dann werde ich das anstößige Wort eben nicht mehr aussprechen, Fräulein Beatrice! Aber ich habe die Pflicht, den Bart zu verteidigen, der schon immer ein Symbol des Geistes und der Männlichkeit gewesen ist, jedenfalls in diesem unserem Lande, in dem man mit Haarenverschwenderisch umgeht. Würdest du, mein kleines Mädchen, angesichts der Bärte von Garibaldi, Galileo Galilei oder Turati lachen?«
    »Wer ist denn Turati? Kennst du den, Modesta?«
    »Oje, ungebildetes und unwissendes, gedankenloses Mädchen! Das ist wirklich eine Respektlosigkeit nicht nur unseren Vorvätern, sondern auch der strahlenden Größe unserer Zeitgenossen gegenüber, die mit ihren mühevollen Bärten die Säulen unserer bärtigen Kultur errichtet haben.«
    »O mein Gott, Modesta, die bärtige Kultur! Die bärtige Kultur!«
    Und wir lachten, bis Quecksilber eintrat und den Tee servierte. Erschöpft von all dem Gelächter, stürzten wir uns schweigend auf das Gebäck, ich hatte nicht gewußt, daß Fröhlichkeit so ermüdet.
    »Wirklich, Fürstin, so müde habe ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich sechs oder sieben Jahre alt war. Aber es ist eine gute, schöne Müdigkeit … die ich vergessen hatte. Ich erinnere mich daran, wie wir vor vielen, vielen Jahren, als ich mit meinen Eltern noch auf dem Land lebte …«

44
    »Nein, wir sind nicht aus Mailand, sondern vom Lande. Und ja, Fürstin, das macht einen großen Unterschied, wie übrigens auch hier auf Sizilien. Meine Vorfahren sind aus Nordeuropa gekommen: reiche Bauern, die aber nicht reich genug waren, um als reiche Leute in der Heimat zu leben, und die auf der Suche nach fruchtbarem Land zu einem niedrigen Preis waren. In unserem Clan, wie wir zu Hause diese Gruppe von sieben Familien mitihren dreißig oder vierzig Personen genannt haben – ich habe sie nie genau gezählt –, sprach man von diesen Pioniervorfahren wie von einem nicht näher bestimmten Heldengeschlecht. Aber wie mein Vater immer sagte, waren sie nichts weiter als die üblichen Beutejäger, die seit Urzeiten in unserem Land ihr Unwesen treiben. Man könnte sie Kolonialisten in eigener Sache nennen, fällt mir gerade ein. ›Eine starke, durch keinen Kontakt zu

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