Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Aber mir sind all diese von Bambolina ererbten Gebrechen teuer, und ich hüte sie wie kostbare Gaben.«
»Warum sagst du Bambolina? Hast du sie nicht Mama genannt?«
»Natürlich! Aber seit sie tot ist, ich weiß auch nicht, warum, kann ich nur so an sie denken. Vielleicht auch, weil mein Vater sie immer so nannte. Er hat sie sehr geliebt und ihren Tod nie überwunden. Und wenn er schon vorher manchmal wochenlang von zu Hause verschwand, war er danach fast nie mehr da. Er kümmerte sich nur noch um die Politik.«
»Aha, auch Euer Vater befaßte sich also mit Politik?«
»Ja, Fürstin. Das war das zweite schwere Kreuz für Großmutter Valentina, die deshalb häufig in den unmöglichsten Augenblicken von dumpfem Groll gepackt wurde, dem sie Luft machte, indem sie auf und ab lief, oder besser, indem sie im Wohnzimmer mit ihren langen, sehnigen Beinen auf und ab marschierte. Wenn ich diese Riesenfüße über das Parkett donnern hörte – bei uns zu Hause gab es keine Teppiche, die sah man als Verweichlichung an! Nur in Bambolinas Zimmer hatte man Teppiche gelegt. Ich bin gern durch dieses bunte, warme Zimmer gelaufen, wenn sie im Bett lag. Sie hat mir erlaubt, die Schuhe auszuziehen und …«
»Und ist Großmutter Valentina da nicht wütend geworden?«
»Sie kam nie in Bambolinas Zimmer. Ja, einmal als die Mama mit Fieber im Bett lag, hörte ich, wie sie zum Arzt sagte: ›In dieses Zimmer setze ich keinen Fuß mehr. Da erstickt man ja! Nicht genug damit, daß sie nie das Fenster öffnet, sie parfümiert sich auch wie … Lassen wir das. Diese Südländer! Die würden es schaffen, selbst eine Kirche …‹, verzeiht, Fürstin, ›in ein Bordell zu verwandeln!‹«
»Hat sie dieses Wort wirklich in den Mund genommen?«
»Aber ja. Manchmal hat sie auch geflucht. Doch Ihr könnt mir glauben, daß sie das immer nur tat, um ihrentief empfundenen Unmut über die Verweichlichung der Welt zum Ausdruck zu bringen.«
»Du hast erzählt, wie es war, wenn du sie über das Parkett hast donnern hören.«
»Ach ja. Sobald ich dieses Donnern hörte, versteckte ich mich unter meinem Bett.«
»Und was hast du dort gemacht?«
»Ich habe gedöst, um ihren Aufmarsch nicht zu hören, oder alle verbotenen Bücher meines Vaters gelesen.«
»Was waren das für Bücher, Carlo?«
»Politische Bücher.«
»Politische Bücher? Also warst du da schon erwachsen?«
»Es ist schlimm, das zugeben zu müssen, Beatrice, aber ich hatte nie das Zeug zum Helden. Ja, ich war vierzehn Jahre alt, als ich mich unter dem Bett für Politik zu interessieren begann und damit wie mein Vater und Großvater unter diesen Zauberbann fiel, den irgendeine Hexe über die klaren und gesunden Gedanken unseres Hauses gelegt haben muß. Meine Verwandten gingen immer schnell an der Bibliothek meines Großvaters vorbei und warfen feurige Blicke auf die Bücher und Zeitschriften: Werkzeuge des Verderbens, die der Teufel nachts in seinen Töpfen schmiedete. In den anderen Häusern des Clans war nur das heilige Buch der Bibel erlaubt.«
»Und warum haben sie nie etwas gesagt?«
»Aus einem uralten, schon zur Zeit des Predigers Salomon gültigen Grund, der gern vor sich hinbrütete und die Resultate niederschrieb.«
»Was redest du denn da, der Prediger Salomon aus der Bibel?«
»Natürlich, liebe Beatrice: ›Das Geld muß ihnen alles zuwege bringen. Fluche dem Reichen nicht in deinerSchlafkammer.‹ Wir waren die Reichsten des Clans. Und dann war da noch Tante Clara, eine unbescholtene, heitere und rührige alte Jungfer, die die Gemüter mit ihrem vorbehaltlosen Vertrauen in die Kraft unseres gesunden, widerstandsfähigen Stammes beruhigte. Sie sagte immer: ›Nun übertreibt mal nicht, diese Politik ist nur eine Kinderkrankheit, die mein Federico sich eingefangen hat!‹ Federico war ihr Bruder, mein Großvater, um genau zu sein. Nur daß er von dieser Kinderkrankheit bis zu seinem Sterbebett nicht genas: ›Eine leichte Kinderkrankheit‹, wiederholte Tante Clara ihr ganzes gesegnetes Leben lang. Ich hingegen würde sie nicht als so leicht bezeichnen, wenn man die ungeheuren Ausgaben für äußerst teure Bücher bedenkt, die nächtlichen Abstecher nach Rom zu gewissen Carbonari, die gelegentlich mit dem Ertränken eines päpstlichen Spions im Tiber verbunden waren. Alles Kindereien, die Tante Clara nicht schrecken konnten. Aber als Federico schließlich ganz offiziell diesem Banditen Garibaldi nach Sizilien folgte, war das ein furchtbarer Skandal! Und er wäre
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