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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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nie an den Busen des Clans zurückgekehrt, wenn sich Garibaldi in Teano nicht mit König Victor Emmanuel, dem Re Galantuomo, getroffen hätte. Obwohl er mir gegenüber später voller Bitterkeit über diesen zerbrochenen Traum von einem republikanischen Italien sprach, war ich innerlich für den ›Verrat des Generals‹ dankbar, durch den ich den Großvater überhaupt kennengelernt hatte. Er war ein naiver, bärtiger Kerl mit wehrlosem Blick … Wie soll ich ihn dir beschreiben, Beatrice? Er schien einem Märchenbuch entsprungen zu sein. Wenn er von seinen Erfahrungen im Krieg erzählte, die, ehrlich gesagt, grausam waren, wußte er sie mit einem Nimbus von Abenteuer und Geheimnis zu umgeben, damit sie begeisterten und erheiterten wie gute Märchen.«
    »Warum sagst du gut, Carlo? Sind nicht alle Märchen gut?«
    »Eben nicht, Beatrice, nicht alle Märchen sind gut. Im Gegenteil sind laut unserer Genossin Montessori – und darin bin ich ihrer Meinung – fast alle Märchen böse und ein Mittel, um Kinder zu erschrecken und sie zur Furcht vor dem Gesetz und den Obrigkeiten zu erziehen. Wir haben lange darüber gesprochen, oder besser gesagt, sie hat mir davon erzählt und mich dazu ermuntert, neue Märchen zu schreiben. Ich erinnere mich, daß in Rom alle wegliefen, sobald ich dieses Thema auch nur andeutete. Natürlich ist ihre Kritik an den Märchen von Andersen, Grimm und vielen anderen richtig. Aber zu verlangen, daß alle Genossen, Ärzte, Ingenieure oder Heizer sich abends, statt zu schlafen, neue Geschichten und Abenteuer für die Revolution abringen …«
    »Eine Revolution mit Märchen! Das ist schön.«
    »Natürlich, Fürstin. Aber zuerst gibt es ein wenig ernstere Probleme zu lösen: Arbeitslosigkeit, Hunger …«
    »Ich meine zu verstehen, daß Montessori Märchen auch zu diesen ernsten Problemen zählt. Märchen sind wie Brot die Nahrung der Kinder, und es ist wichtig, daß diese Nahrung sich ändert.«
    »Ihr erstaunt mich immer wieder, Fürstin! Wenn Montessori ihre Ideen so klar zum Ausdruck gebracht hätte …«
    »Puh, nicht schon wieder! Carlo hat recht damit, Modesta, daß diese Montessori langweilig ist. Warum unterbrichst du ihn immer? Laß ihn erzählen!«
    Unbewußt nannte Beatrice mich langweilig. Alles wandelt sich. Eriprando entwindet sich meinen Armen; jetzt, da er schon auf einem beinahe echten Pferd das Gleichgewicht halten und allein schaukeln kann, langweilt ihnder Ritt auf meinen Knien. Auch mir ist inzwischen Beatrices elegante Leichtigkeit, mit der sie Carlos Blick verzaubert, gleichgültig, ja, sie irritiert mich manchmal sogar.
    »Und du, Carlo, hör auf damit, Modesta immer mehr Bücher anzuschleppen. Sie liest nur noch. Das tut ihr nicht gut. Und außerdem wird sie dadurch noch ernster, als sie sowieso schon ist.«
    »Hört, hört, unsere Beatrice redet wie Großmutter Valentina.«
    »Was hat das damit zu tun! Ich habe nichts gegen Bücher, aber das ist ein bißchen zuviel, wie mir scheint. Los, erzähl die Geschichte zu Ende, bevor das Abendessen serviert wird. Ich höre, daß Quecksilber bereits eindeckt. Danach bleibst du doch noch? Wir können Mikado spielen.«
    »Welche Geschichte? Über dem Gedanken an die Köstlichkeiten, die Quecksilber gekocht haben wird, habe ich den Faden verloren. Unsere Quecksilber ist ein richtiger Paganini, sie wiederholt sich nie.«
    »Die Geschichte von der Kinderkrankheit! Mein Gott, wie komisch, eine so ernste Angelegenheit wie die Politik so zu nennen. Denn daß das eine ernste Angelegenheit ist, habe ich begriffen, Modesta, was glaubst du denn! Ich habe es begriffen, du brauchst mich gar nicht so streng anzuschauen.«
    »Ach ja, genau, Tante Clara. Die Arme! Es war eine schreckliche Erkenntnis für sie, daß die Kinderkrankheit des Großvaters erblich war. Am selben Abend des fernen Jahres 1889, an dem mein Vater mit Turati speiste und die Geburt der sozialistischen Liga von Mailand feierte, Turati höchstpersönlich meinem Vater zuprostete und ihn Genosse nannte, erlag sie diesem Schlag und starb.Sie ist vor Kummer gestorben, die Arme! Jedenfalls behauptete das meine Großmutter immer bei Tisch und starrte meinen Vater dabei voller Groll an. Aber der antwortete mild: ›Von wegen Schmerz, Mama, das Alter verwirrt dich, du weißt ganz genau, daß sie an Verdauungsstörungen gestorben ist.‹«
    »Und auch du hast diese Krankheit geerbt?«
    »So wird es wohl sein, auch wenn man aus der Geschichte der Medizin nichts darüber weiß, daß der

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