Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
seiner Fröhlichkeit! Quecksilber sagt, daß dieses Haus sonst so traurig wäre wie … aber lassen wir das.
25. März, nachmittags
Auch wenn Carlo nicht zurückgekehrt ist, hat mir die Mutter Gottes wenigstens in bezug auf Modesta eine Gnade erwiesen: Seit gestern geht sie nicht mehr zu den Sozialisten. Wer weiß, warum? Aber was immer vorgefallen sein mag, ich bin dadurch weniger einsam. Natürlich bin ich neugierig auf den Grund. Wenn ich den Mut dazu finde, denn auch sie ist sehr traurig, frage ich sie heute abend.
26. März, morgens
Ich habe den Mut gefunden, sie zu fragen. Mit einem Lächeln hat sie mir so geantwortet – ich schreibe das nieder, um es besser zu verstehen, so wie sie es mit Gedichten macht: »Beatrice, eigentlich ist dieses Haus eine Kirche voller Madonnen- und Heiligenfresken! Aber es ist besser, wie Jacopo gesagt hat, aus Kirchen zu fliehen, wenn man ihre Kunstwerke bewundert hat.« Das verstehe ich nun wirklich nicht, sie spricht von diesem Haus wie von einer Kirche. Mir ist es dort sogar beinahe schmutzig vorgekommen. Und welche Fresken? Ja, da hingen ein paar Bilder, aber … Manchmal ist Modesta wirklich rätselhaft. Oder hat sie vielleicht gescherzt?
30. März 1921
Nur ganz kurz, liebes Tagebuch, weil ich so glücklich bin, daß mir die Hände zittern. Carlo ist in Catania und kommt heute abend zum Essen. Jetzt verlasse ich dich. Ich habe noch viel zu tun und große Angst. Ich verstehe gar nicht, warum, aber seit heute morgen brennt meine Stirn, und ich friere. Ich habe das Thermometer nicht benutzt aus Angst, Fieber zu haben. Gerade jetzt! Und nicht nur davor habe ich Angst. In diesen Tagen habe ich immer und immer wieder an das gedacht, was mir Quecksilber in ihrer Dreistigkeit an jenem Abend gesagt hat. Das kann nicht sein! Aber sie war schon einmal verliebt und weiß mehr darüber als ich. Und wenn es nun stimmte? Es ist schrecklich, aber ich fürchte, liebes Tagebuch, daß Quecksilber recht hat. Wenn ich wenigstens Modesta fragen könnte! Sie ist so gescheit und weiß viele Dinge. Aber wie sollte ich das tun? Dann würde sie vielleicht wieder eifersüchtig und … Ich darf gar nicht daran denken. Denn niemals, niemals, auchwenn dieses Mißgeschick wirklich passiert sein sollte, würde ich Modesta verlassen. Das habe ich mir geschworen. Wie käme sie ohne mich, die sie versorgt und sich um das Haus kümmert, zurecht? So viel, wie sie mit den ganzen Anwälten und Notaren zu tun hat, und so zerstreut und unpraktisch, wie sie als gescheiter Mensch nun einmal ist? Erst gestern hätte sie gar nicht gefrühstückt, wenn ich nicht gewesen wäre, und in der letzten Zeit ist sie so dünn geworden! Niemals würde ich sie verlassen, auch weil ich damit das mir heilige Andenken der Großmutter verletzen würde. Ich werde diese Liebe in mir ersticken, denn so kann ich ihn wenigstens gemeinsam mit Modesta sehen, und wir können für immer zusammen glücklich sein.
46
»Als ich Euch die Treppe herablaufen sah wie – mit Verlaub, Fürstin – zwei richtige Lausbuben, wäre ich fast geflohen vor diesem dumpfen Galopp über meinem Kopf, der so ähnlich klang wie …«
»Großmutter Valentinas Marschschritt?«
»Nein, leider nicht, Beatrice. Großmutter Valentina wäre zweifellos dem Ansturm der staatlichen Wachen vorzuziehen gewesen. Dieses unselige Turin ist extra so erbaut worden, daß zwei Carabinieri zu Pferd oder eine Kanone ein ganzes Stadtviertel in Schach halten können. Undankbares Turin, oder undankbares Festland, wie Ihr sagt. Wie sehr habe ich dem sanften Müßiggang Eures Salons und den sicheren Gassen Catanias nachgetrauert!«
»Um Himmels willen, Carlo, du erschreckst mich, gab es dort etwa Kanonen?«
»Nein, jedenfalls im Moment noch nicht. Ich habe nurnach meiner langen Abwesenheit Turin in seiner ganzen Erbarmungslosigkeit erlebt. Das ist jedoch auch ein Vorteil des Reisens. Ab und zu muß man sich von den Orten entfernen, an denen die Gewohnheit alle Objektivität zunichte gemacht hat. Genauso ist es auch mit den Sprachen. Wenn man wie ich monatelang eine fremde sprechen muß, merkt man nach der Rückkehr zur Muttersprache, daß die Distanz dazu gedient hat, deren ureigenes Wesen wiederzuentdecken. Man könnte einen lustigen Slogan kreieren: ›Lernt Englisch, Französisch und Deutsch, um … euer Italienisch zu verbessern.‹ Und wieder einmal bringe ich mit pedantischen und müßigen Überlegungen meine Freude darüber zum Ausdruck, bei Euch zu sein, und … ja, dank
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