Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
meines langen Aufenthaltes in der Sonne Eurer Insel bin ich zu einem ehrenwerten und arbeitsscheuen terrone 6 geworden. Und ich habe auch verstanden, warum der Norden den Süden so sehr verachtet: Man beneidet Euch dort, glaubt mir!«
»Du bist traurig, Carlo, traurig, auch wenn du scherzt.«
»Na ja, die allgemeine Lage ist nicht gerade das, was man beruhigend nennen würde.«
»Wegen dieses Mussolini? Aber alle sagen, daß das nur eine Posse ist, nicht wahr, Modesta, das hast du unten in Catania auch gehört?«
»Ja, aber ich habe einige Verletzte gesehen, die wenig von einer Posse hatten.«
»Wie dankbar ich bin, daß wenigstens Ihr das verstanden habt, Fürstin, und daß Ihr Euch nicht von der weitverbreiteten Angewohnheit anstecken laßt, den Gegner zu verharmlosen. Die ist nämlich laut Gramsci ihrerseits ›Zeugnis der Unterlegenheit der von ihr Befallenen.Tatsächlich neigt man dazu, den Gegner verbissen zu verharmlosen, um leichter an den eigenen Sieg glauben zu können.‹ Aber genug davon, ich langweile Euch. Dieser Aufenthalt im Norden hat mich den letzten Rest meines ohnehin schon spärlichen Humors gekostet. Aber jetzt habe ich genug geredet! Wie geht es Euch, Fürstin? Die Genossen in Catania haben mir gesagt, daß Ihr krank seid. Statt dessen finde ich Euch wohlauf und bin froh darüber. Ich bin sehr neugierig, will aber nicht …«
»Keine Sorge. Bei ihnen habe ich eine Krankheit vorgeschoben, um keine nutzlosen Erklärungen abgeben zu müssen.«
»Da Ihr mir erlaubt habt, indiskret zu sein, dürfte ich nach dem Grund fragen, oder ist das zuviel verlangt?«
»Es liegt an alldem, wovon Ihr bereits gesprochen habt. Auch wenn man dort nicht ›seid gut, seid heilig, seid demütig‹ sagt, so doch etwas ganz Ähnliches, und … da habe ich den Mut verloren.«
»Aber wie ich weiß, stellt Ihr weiterhin Geld für die Zeitung zur Verfügung, das verstehe ich nicht.«
»Das hat damit nichts zu tun … Aber ich fürchte, Doktor, daß wir Beatrice aus ihrer Schweigsamkeit reißen müssen, in die sie sich mir zu Gefallen zurückgezogen hat. Komm, Beatrice, mach die Augen auf, genug der ernsten Gespräche.«
»Oje, Fürstin, unsere arme Kleine ist eingeschlafen.«
»Sie glüht ja, Doktor, fühlt nur, wie sie glüht.«
»Das ist nicht nur der Schlaf der Gerechten ob unserer langweiligen Gespräche, sondern Fieber. Und zwar ein sehr hohes, würde ich sagen. Wir müssen sie sofort zu Bett bringen.«
»Ich rufe Quecksilber.«
»Nein, nein, Großmutter, bitte nicht! Ich will nicht ins Internat, laß mich hier bei Modesta bleiben!«
»Aber was ist denn, Doktor, was hat sie?«
»Nichts, Fürstin, kein Grund zur Sorge. Weder an der Brust noch am Herzen ist etwas Beunruhigendes festzustellen. Es ist nur Fieber.«
»Geh nicht weg, Modesta! Ich will nicht fort von hier, ich will nicht!«
»Kommt hierher, Fürstin, umarmt sie. Vielleicht beruhigt sie Eure Nähe.«
»Ach, hier bist du. Geh nicht weg, bitte. Ich weiß, ich war gemein, ich tu es auch nie wieder, nie wieder.«
»Ein letzter Blick auf unsere kleine Patientin, und dann gehen wir alle zu Bett. Es ist beinahe Morgen. Etwas Ernstes ist es nicht, Fürstin, das Salizylat hat schon Wirkung gezeigt und das Fieber gesenkt. Aber Ihr müßt Euren ganzen Einfluß auf Beatrice geltend machen, die Kleine ist nicht gerade das, was man eine Roßnatur nennt. Sie muß sich wirklich schonen. Wenn Ihr erlaubt, verordne ich jetzt auch Euch Bettruhe. Kommt, ich begleite Euch in Euer Zimmer. Ihr habt keinen Moment geschlafen, und das sieht man!«
»Auch Ihr habt nicht geschlafen.«
»Ich bin daran gewöhnt, das gehört zu meinem Beruf. Ab ins Bett! Ich muß wohl streng werden, so blaß, wie Ihr seid. Ihr müßt ins Bett und ich nach Catania. Um acht habe ich einen wichtigen Patientenbesuch, aber danach komme ich sofort wieder. Verzeiht, Fürstin, aber von welcher Großmutter hat Beatrice im Delirium gesprochen? Ich sollte nicht fragen, aber bei ihrem Flehen hat sich mir das Herz im Leib herumgedreht, sie wirkte richtig verzweifelt.«
»Ihr werdet sie ungefähr verstanden haben, Doktor, denn es war eine schreckliche Großmutter so wie Eure Valentina. Aber Beatrice hatte keine Mutter wie Bambolina, bei der sie Zuflucht hätte suchen können.«
»Das ist wirklich ein Unglück! Und Ihr, Fürstin? Habt Ihr auch eine Großmutter gehabt, oder ist Euch das erspart geblieben? Ihr redet nie von Eurer Vergangenheit, und daher nehme ich an …«
»Nein, nein, meine
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