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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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geräuschlos, und es wurde heller. Sie durchschritten den ersten Mauerring, im schmalen Gang zwischen erster und zweiter Mauer brannten Fackeln. Eine verlosch zischend im Regen, andere waren von der Mauer geschützt und warfen ein tief orange, vom Regen verzerrtes Licht, das sich in den glatten, schwarzen Mauern spiegelte. Alles war seltsam ungefähr, nur das Gebet war gewiss.
    »Schalte, walte,
    Du willst, Du weißt,
    Sind wir, dann sind wir,
    Was Du uns heißt«
    Sie passierten ein zweites Tor, sie passierten im Fackelschein ein drittes, sie erreichten einen Vorhof. Über ihnen erhoben sich die Umrisse der düsteren Klostertürme, vor ihnen spiegelte sich im nassen Pflaster das flackernde Licht. Ketten rasselten.
    Ketten?
    Jonas verstummte. Seine nassen Lippen hielten still. Er spähte aus den Augenwinkeln zur Seite. Rundum Mauern. Er stutzte und fiel einen Schritt zurück. Die Jünger beteten inbrünstig.
    An die Mauern waren Gefangene gekettet! Mit ausgebreiteten Armen standen sie da und ließen die Köpfe hängen. Ihre Handgelenke in Ketten, die Ketten in den Mauern verankert.
    Jonas zwang sich weiterzugehen. Der Regen fiel jetzt in langen Fäden.
    »Sind wir, dann sind wir,
    Was Du uns heißt«,
    beteten die Jünger.
    Was, wenn einer dieser Gefangenen Ruben wäre? Jonas brauchte einen Fleck in völliger Dunkelheit, um sich von der Gruppe zu lösen. Er hielt Ausschau, wartete, wartete länger. Nur noch wenige Schritte bis zum nächsten Tor …
    Jetzt!
    Jonas fiel einen, zwei, drei Schritte zurück, brach nach rechts aus und presste sich dann an die Mauer. Stur marschierten die Jünger weiter.
    »Sind wir, dann sind wir,
    Was Du uns heißt«
    Ihre Stimmen wurden leiser, sie waren durch das nächste Tor. Das Wasser rann Jonas über die Wangen, mit dem langen Ärmel seiner Kutte wischte er sich das Gesicht. Bis auf die Geräusche des Regens und das verhaltene Klirren der Ketten war es still im Hof. Immer mehr Fackeln verloschen. Feuchter Rauch lag in der Luft.
    Nass bis auf die Knochen hielt Jonas Ausschau. Nicht weit von ihm entfernt hing ein Alb in seinen Ketten. Jonas erkannte sein schimmerndes weißes Haar. Neben dem Alb lehnte eine kleine Gestalt an der Wand, nicht größer als ein Achtjähriger. War das ein Wicht? Jonas’ Blick wanderte weiter, weiter, noch weiter …
    Da! Ausgestreckte Arme in einem schmutzig weißen Hemd! Der Kopf war dem Gefangenen auf die Brust gesunken, das nasse, schwarze Haar hing ihm tief ins Gesicht.
    Ruben!
    Jonas zuckte. Konnte er …?
    Dann lief er einfach los, huschte über den Platz, durch den Fackelschein, auf die Mauer gegenüber zu.
    »Ruben!«, flüsterte Jonas. »Ruben!« Er stand direkt vor ihm. Der tropfende Vorhang seines Haars reichte Ruben bis ans Kinn. »Ich bin es! Jonas!«
    Ruben warf stöhnend den Kopf zurück. Sein Auge starrte ins Leere. Es saß hoch oben in seiner Stirn.
    »Ru…?« Jonas verstummte und sah dem Monokel entgeistert ins Gesicht. Er hatte sich getäuscht.
    »Was …«, stöhnte der Monokel. »Was willst du … noch?«
    Einen Moment lang stand Jonas bloß da, hilflos und sehr verzweifelt. Dann schlug er die Kapuze zurück. »Ich bin kein Jünger«, flüsterte er.
    Der Monokel lehnte den Kopf gegen die Wand und schloss das Auge. »Lass mich!«, sagte er.
    Aber Jonas wollte ihn nicht lassen. »Hör mir zu!«, zischte er. »Ich suche jemanden. Einen Menschen. Groß. Mit Haaren wie du. Und auch so einem Hemd. Faramund hat ihn hergebracht. Hast du ihn gesehen? Ist er hier irgendwo?«
    Ohne sein Auge zu öffnen, schüttelte der Monokel den Kopf. Das Hemd klebte ihm am Körper. »Ich habe niemanden gesehen«, sagte er so leise, dass Jonas ihn nur mit Mühe verstand. »Verschwinde von hier, Junge. Verschwinde! Sonst endest du wie ich.«
    »Wo könnte der Mann sein? Wo?« Jonas wollte nicht lockerlassen. Er zitterte am ganzen Körper.
    Mit einem Ruck beugte der Monokel sich vor. Die Ketten knirschten. Sein lebloser Blick wanderte zum Tor hinüber, durch das die Jünger verschwunden waren. Seltsam haltlos schwankte sein Kopf auf den Schultern. »Lauf«, stöhnte er. »Lauf schon. Sie haben dich gesehen.«
    Jonas fuhr herum. Zwei Jünger passierten das Tor. Sie traten auf den Hof.
    »Lauf«, flüsterte der Monokel kraftlos. Das Kinn sank ihm auf die Brust, das schwarze Haar fiel ihm wieder ins Gesicht.
    Für einen Augenblick war Jonas wie gelähmt. Er sah zum Tor hinüber, durch das er gekommen war. Die Jünger kamen näher, scheinbar ohne Eile. Das Tor stand

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