Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
keinen anderen Weg ins Kloster hinein«, sagte Fiet leise. Fast klang es, als wolle er sich entschuldigen.
»Ich soll …?« Jonas brach ab. Was hatte er sich eigentlich gedacht? Dass es einen bequemen Weg ins Kloster gäbe?
»Du sollst mit ihnen gehen, ja. Die Gruppen sind oft groß. Du gehst hinter ihnen. Wenn alles gut geht, bemerken sie dich gar nicht. Du bist so groß wie sie, du trägst eine Kutte. Es könnte klappen.«
Jonas nagte an seiner Unterlippe. Aber er nickte. So also, so also würde er ins Kloster kommen. Aber wäre nicht jeder andere Weg genauso beängstigend gewesen?
»Kennst du ihr Gebet? Du wirst es aufsagen müssen, wenn du nicht auffallen willst.«
Jonas überlegte einen Augenblick. Er sah die Jünger wieder vor sich, wie sie langsam die Auffahrt hinaufgingen, immer auf das Schloss zu. Er hatte ihren Singsang noch im Ohr.
»Grundguter Hirte,
Halt die Hand über uns,
Segne, schütze, schaffe uns,
Schalte, walte,
Du willst, Du weißt,
Sind wir, dann sind wir,
Was Du uns heißt.«
»Ich kann es auswendig«, flüsterte Jonas.
»Gut. Und da ist noch etwas.«
»Ja?«
Fiet räusperte sich. »Ich habe es nicht sagen wollen, solange Ole zuhörte. Es hätte ihn nur auf dumme Gedanken gebracht. Er …« Unter seiner Kapuze schien Fiet nach den richtigen Worten zu suchen. »Ole hat es nicht leicht mit dir, Jonas, nehme ich an. Cores Prophezeiung bedeutet ihm viel. Er ist damit aufgewachsen, dass er unsere Rettung ist. Und jetzt kommt ihr, du und dein Freund Ruben, und auf einmal setzt der Hirte alles daran, euch in die Finger zu kriegen. Euch und nicht Ole, verstehst du?«
Jonas nickte. Doch eigentlich verstand er Ole nicht. Er hätte ganz gern getauscht. Wäre es nicht sowieso viel einfacher, Ole zu sein und sich seiner Sache immer sicher?
Fiet fuhr fort. »Was ich aber eigentlich sagen wollte, ist – da war noch jemand in der Flüsterstadt, der nach dir gefragt hat.«
Jonas durchzuckte es. Noch jemand? »Wer?«, entfuhr es ihm.
»Psst! Du musst leise sein.« Fiet senkte selbst seine Stimme. »Ich kenne seinen Namen nicht. Ich habe ihn auch nicht gesehen, sondern nur von ihm gehört. Es ist ein Fremder. Niemand aus dem Kloster.«
»Und was will er?« Jonas war beunruhigt. Was, wenn der Fremde Irmingast wäre? Es hatte ihn in den zurückliegenden Tagen viel Mühe gekostet, nicht an den Pfarrer zu denken, an die langen Zähne und den spiegelnden Blick. Manchmal hatte er ihn vor sich gesehen, wie er, kurz bevor Peregrin Aber das Testament eröffnet hatte, an der Wand lehnte, gleich neben der bedrohlich tickenden Uhr der Bibliothek.
»Hör zu. Ich weiß nicht, was er von dir will. Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt noch in der Stadt ist. Ich dachte nur, du solltest wissen, dass da noch jemand auf deiner Spur ist.«
»Danke«, murmelte Jonas. Er dachte nach. Der rätselhafte Arnon Blau fiel ihm ein, Claras verschwundener, hinkender Sekretär. Was, wenn auch er durch den Schrank gegangen wäre? Könnte er hergekommen sein und hier geblieben? Er überlegte, Fiet das Heft zu zeigen, das er in Almas Kommode gefunden hatte und zusammen mit Rubens Zettel und Krempels Steckbrief unter seiner Kutte verbarg. Arnon Blaus Name stand auf dem Vorsatzblatt. Aber vielleicht war es der falsche Moment, die Taschen auszuleeren. Und vielleicht war Fiet Finger dafür auch gar nicht der richtige Mann.
»Kennen Sie den Namen Arnon Blau?«, fragte Jonas schließlich nach einigem Zögern. »Oder …« Er hielt inne, als wollte der Name nicht über seine Lippen, »… Irmingast?«
Fiet musste nicht einmal überlegen. »Nein. Könnte einer von den beiden der Kerl sein, der nach dir fragt?«
»Ich …« Jonas zuckte die Schultern. »Nein. Ich glaube nicht.« Woher sollte Arnon Blau, ein Mann, der seit einer Ewigkeit verschollen war, überhaupt von ihm wissen? Irmingast allerdings wusste sehr wohl von ihm. Leider.
Sie verfielen in Schweigen. Unter seiner Kapuze fühlt sich Jonas wie in einem Versteck. Fiet strich selbstvergessen durch den Staub.
»Es hat nichts mit dem Mann zu tun«, sagte Jonas schließlich leise, »aber ich würde Ihnen gern noch eine Frage stellen.«
»Und welche?« Fiet sah nicht einmal auf.
»Wissen Sie, wo der Spinnenpalast ist?«
Fiets Hand hielt abrupt still. »Der Spinnenpalast«, wiederholte er langsam. »Was soll das sein?«
»Ich weiß es nicht. Ruben hat … Als Ruben in Kanaria festgenommen wurde, hat er mir etwas zugerufen. Such den Spinnenpalast , hat er
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