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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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der erste Brief gelesen vor ihm, das Wesentliche hatte der Advokat mit jener roten Tinte unterstrichen, die sonst den zahlreichen Fehlern des Schreibers Werk vorbehalten war. Folgendes hatte Peregrin Aber mit entschlossenen, geraden Strichen markiert.

    Für einen drei Seiten langen Brief war das weiß Gott magere Beute. Zu Peregrin Abers Verdruss hatte Tabbi alles zweimal gesagt, und statt sich an die Tatsachen zu halten, hatte sie nichts Besseres zu tun gehabt, als wilde Gerüchte über Sonneberger Spielzeug in die Welt zu setzen.
    Sonneberger Spielzeug! Das hatte Peregrin Aber nicht unterstrichen. Verständnislos schüttelte er den Kopf.
    Die Sache mit dem Leuchter hingegen war ernsthaft zu bedenken. Nach gewissenhafter Abwägung allerdings tippte Peregrin Aber auf einen Unfall. Wunderlich war morsch, und das Gemäuer lag so einsam, dass man dort leicht Gespenster sehen konnte.
    Peregrin Aber legte den ersten Brief innerlich schon zu den Akten, bevor er nach dem zweiten griff. Diesmal sprangen ihm die Ausrufezeichen förmlich entgegen. Er begann ihn zu lesen, Satz für Satz.
    16. November
    Alles ist ganz fürchterlich, Herr Doktor! Es hat Schüsse gegeben! Ich werde vor Angst ganz verrückt!
    Für einen Augenblick hatte Peregrin Abers mit roter Tinte vollgesogene Feder über dem Wort Schüsse gezittert, jetzt legte er sie beiseite. Erst achtlos, sodass sie nicht, wie sonst, zur Schreibtischkante ausgerichtet war, dann sorgfältig, damit die Feder verlässlich da lag, wo sie immer lag.
    Ordnung!, ermahnte sich der Advokat. Dann beugte er sich wieder über Tabbis schlitternde Schrift.
    Folgendes, Herr Doktor, hat sich zugetragen, es ist kaum ein paar Stunden her. Ich stehe am Herd, nur ein paar Schritte, von wo ich jetzt sitze, und da gibt es einen gehörigen Schlag! Erst denke ich an den Leuchter, der schon in tausend Scherben zersprungen ist! Aber dann weiß ich gleich, dass ich einen Schuss gehört habe! Gott sei Dank habe ich in meinem Leben nicht oft Schüsse gehört, Herr Doktor, aber ich erkenne doch welche, wenn ich sie höre.
    Peregrin Aber seufzte schwer. Schon nach wenigen Zeilen war Tabbis Bericht ein heilloses Durcheinander. Aber jahrzehntelanges Aktenstudium und das hartnäckige Entziffern von Kleingedrucktem hatten den Advokaten gelehrt, niemals einen Satz zu überspringen. Mit Leidensmiene las er weiter.
    Gleich laufe ich aus der Küche zum Innenhof, woher der Schuss gekommen ist, und sehe gerade noch, wie Ruben den jungen Herrn Nichts über den Platz zerrt, hin zum vermaledeiten Turm. Ich will die beiden noch anrufen, aber da schlägt die Tür zum Turm auch schon zu! Gerade will ich also auf den Innenhof, da höre ich eilige Schritte, und auf der anderen Seite – Himmelherrgott! Lieber Herr Doktor! Ich denke, mir erscheint der Leibhaftige!
    »So«, knurrte Peregrin Aber, aber auch sein gewohnheitsmäßiger Spott konnte ihn jetzt nicht mehr beruhigen. Mit der Ordnung, schwante dem Advokaten, war es vorbei.
    Was ich sehe, Herr Doktor, ist dies. Da läuft eine schwarze Gestalt auf den Turm zu! Der Mann ist mit einer großen Kapuze vermummt und sein Gesicht kann ich nicht sehen, aber das Jagdgewehr in seinen Händen, das ist nun zweimal länger als der gefährlichste Prügel! Ich kann nicht anders als mich bekreuzigen! Und wie ich das Kreuz noch schlage, da fällt der nächste Schuss! Der schwarze Mann hat angelegt und auf die Tür vom Turm gefeuert! Aber dann nimmt er die Flinte wieder von der Schulter und läuft in den Südflügel zurück! So schnell ich kann, laufe ich zum Turm und will in meiner Angst um den jungen Herrn Nichts gleich die Tür aufstoßen! Aber was finde ich? Jemand hält die Tür zu, so fest er kann! Ich bin schon eine alte Frau, Herr Doktor, aber ich habe mich doch wie ein Rammbock gegen die Tür geworfen! Geholfen hat es nichts. Was tun?, denke ich also. Und da fällt mir ein, dass es ja Ruben und der junge Jonas Nichts sein könnten, die sich gegen die Tür stemmen, weil sie mich für den schwarzen Mann halten!
    Ruben!, rufe ich also, ich bin es, Tabbi, die Köchin! Und da geht die Tür auch einen Spalt weit auf, und wie bin ich, Herr Doktor, erschrocken! Denn Ruben war bleich wie der Tod! Wo ist der junge Herr Nichts?, herrsche ich ihn an, wo ich doch jetzt in den Turm sehen kann und weit und breit nichts vom jungen Herrn Nichts entdecke. Aber Ruben gibt mir keine Antwort, wie könnte er auch, wo er doch stumm ist, und stürzt an mir vorbei auf den Hof und schaut wie wild nach

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